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Seit dem die deutsche Politik das Grundrecht ausländischer Bürger, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, in einen humanistischen Gnadenakt ex cathedra verwandelte, ist das Wort “Integration” in aller Munde. Es ist so, als müsse mit einem Zauberwort der Fluch ausgetrieben werden, den der moralische Werbefeldzug der “Wiedergutwerdung der Deutschen” an Kollateralschaden der Volksgemeinschaft der reinen Herzen angerichtet hat. Das Verständnis über den ominösen Vorgang der Integration reduziert sich deshalb bestenfalls auf den Charakter von Beschwörungsformeln des Miteinanders. Schlimmstenfalls und überwiegend ist es Teil eines Weltbildes, welches die tief verwurzelte Ablehnung von den eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen des Zusammenlebens hier widerspiegelt. Die wenigen Definitionsversuche von gesellschaftlicher Integration durch Behörden, staatlich alimentierter Träger und der Öffentlichkeit sind deshalb Ausdruck sich bis zu Unkenntlichkeit verbiegender Ressentiments. Man möchte Asylsuchende sich nicht integrieren lassen, sondern will sie integrieren. Und zwar nicht in die Gesellschaft – das geht nur im Passiv – sondern in Gemeinschaft, das geht – zumal in Deutschland – nur mit Zwang und Unterwerfung. Diese illusionäre Vorstellung von Integration will die imagined community der deutschen Gemeinschaft um andere als identitär fest verstandene Gruppen bereichern. Das versteht man unter „Bunt statt Braun“. Der zum Scheitern verurteilte Versuch, Asylsuchende in eine Gefolgschaft zu verwandeln, nicht Individuen in gleichberechtigte Bürger, ist aber ein Solipsismus, indem jene lediglich instrumentalisiert werden. Und der funktioniert so: Das Ressentiment soll sich am Unterschied abarbeiten, Mob und Elite haben dadurch den Feind, den sie brauchen, um ihren Bund zu erneuern. Es wundert deshalb nicht, dass die aktuellen Asyldebatten denen der 90er Jahre fast im Wortlaut gleichen. Der Feind ist, nachdem die Oberfläche abgekratzt ist, der Fremde; Projektionsfläche aller Wünsche, und damit Hassobjekt, weil Symbol der eigenen Versagung und Ohnmacht. Mit dem äußeren Feind im Inneren ist wiederum der Kitt für die Gemeinschaft gefunden, das süchtig machende Surrogat, nachdem sich die verfolgende Unschuld sehnt. Integration – so die These – scheitert zuvörderst an den Deutschen, nicht an den Asylsuchenden, die bereits einige Opfer für ein besseres Leben gebracht haben und zur Integration nicht nur bereit sind, sondern genau deswegen hier und deswegen aus den sich desintegrierten Gegenden der Peripherie der kapitalistischen Weltgesellschaft geflohen sind und nicht verstehen können, in welches Irrenhaus es sie verschlagen hat.

Das Sommermärchen 2015

Die Welt war konsterniert als die Kanzlerin im Sommer 2015 plötzlich die deutschen Grenzen für die zwischen Balkan und der Türkei verstreuten und ungewollten Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak unkontrolliert öffnete. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Mittelmeerländern bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens von Deutschland komplett im Stich gelassen. Soweit nichts Neues. Umso rätselhafter die politische 180 Grad-Wende; eine Pirouette, die aus dem egoistischen Wirtschaftshegemon in Europas Mitte die Mutter Theresa der EU werden ließ. Während die Flüchtlinge, die in Deutschland unter dem Hagel von tausenden Kuscheltieren fast zu ersticken drohten, den die jubelnden Massen an den Bahnhöfen über sie entfachten, waren die restlichen EU-Mitglieder moralisch düpiert, einigermaßen verärgert und ratlos über den einsamen Beschluss der Kanzlerin, der sie diesmal von ganz unerwarteter Seite traf. Was für eine geheimnisvolle Entscheidung wurde nun wieder in diesem wundersamsten und rätselhaftesten aller Länder des Westens getroffen? Die Interpretationen und Projektionen reichten – je nach politischer Ausrichtung von konservativ-national bis liberal-unilateral – von überschwänglichem Jubel für eine humanitäre Entscheidung zugunsten der Flüchtlinge bis zu der Meinung, dass es sich wohl um politischen Selbstmord handeln müsse. So unergründlich die Entscheidung war, ob aus einer Laune heraus getroffen oder eine wohl kalkulierte Investition in den moralischen Standort Deutschland, die Konsequenzen haben dem neuen – dem guten – Deutschland einen Schlag versetzt. Die politische Landschaft veränderte sich von heute auf morgen zu gestern. Zu den Parteien des neuen Deutschlands, welche Auschwitz erfolgreich zum sakralisierten Standortvorteil im moralischen Wettkampf instrumentalisierten, gesellte sich mit der AFD ein anachronistischer Politzombie, der die Klaviatur des Ressentiments und der Revision so virtuos spielte, als das man an die Reinkarnation längst verblichener Parlamentarier der 50er Jahre in Gauland und Co glauben konnte. Dieser “gärige Haufen” von Kleinkriminellen, akademisierten Kleinbürgern und Hooligans, angeführt von einem ehemaligen CDU-Hinterbänkler, hatte leichtes Spiel, Wähler zu begeistern und in die Parlamente einzuziehen. Er brauchte gegenüber den deutschen Standard-Politikern, die die sich immer höher drehende verbale Moralschraube mit immer irrationaleren politischen Entscheidungen gerecht zu werden versuchen und ihren Wählern nicht die einfachsten politischen Wahrheiten mehr zumuten wollen, nur das abgeschmackte Einmaleins nationaler Borniertheit in Stellung zu bringen und schneidig mit den wohlbekannten Zutaten des deutschen Wurzeltums zu ergänzen. Schon schlug das Pendel der paranoiden Stimmung von Willkommenskultur bei einem Fünftel der Bevölkerung zum nur schlecht kaschierten Wunsch des Massenmordes aus. Um das neue Deutschland, welches das Kunststück der Metamorphose fertigbrachte, sich vom Vernichtungs- zum Exportweltmeister zu wandeln, gegen das alte zu retten, musste der innere Konflikt über den eigenen Sonderweg vor dem Rückfall bewahrt werden.

Der Kampf mit der Integration

Eines der Zauberwörter der privilegierten Protagonisten des neuen Deutschlands heißt dabei „Integration“. Denn die Frage kam auf: Was machen mit den Flüchtlingen, wenn Krieg und Folter in ihren Heimatländern nicht enden? Auf diese Frage konnte man nur in Deutschland kommen. Denn hier waren  bisher Ausländer nur willkommen, wenn sie zu Billiglöhnen das Bruttosozialprodukt steigerten und hernach schnell wieder verschwanden. Da man die Flüchtlinge nicht mehr ins Bergwerk stecken kann, denn die wurden alle geschlossen, und sie erst Deutsch lernen und Fähigkeiten entwickeln müssen, die auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nachgefragt werden, sprach man von Integration. Ein Begriff, den das Fremdwörterbuch als „Wiederherstellung eines Ganzen, Einbeziehung oder Eingliederung“ definiert und der wohl aus dem Militär stammt. In einem Soziologie-Wörterbuch aus den 1970er – als die Systemtheorie noch Anhänger hatte – wird in Bezug auf Gesellschaft Integration als funktionaler „sozialer Prozess“ bestimmt, „in den ein Mensch oder mehrere Menschen unter Zuweisung von Positionen und Funktionen in die Sozialstruktur eines sozialen Systems (Gruppe, Ges. etc.) aufgenommen wird, I. ist auch soziokultureller Wandel“ (Wörterbuch der Soziologie, Endruweit et al.) Auch damit lässt sich nicht viel anfangen, vielmehr beweist diese Bestimmung das Elend der Soziologie als gedankenfaule Untertanenwissenschaft in Deutschland, in der Menschen technokratisch zugewiesen werden und Systeme füttern. Es ist wie verflixt. Wer sich auf die Suche nach der Bestimmung des Begriffs „Integration“ macht, wird kaum fündig, auch wenn alle Welt darüber schwadroniert.[1] Der Paritäter, von Berufs wegen Experte, versucht es mit einem Slogan wie aus der Waschmittelreklame, der sehr deutsch und deshalb falsch ist: “Integration gelingt, wenn Nachbarschaft entsteht.”[2] Eventuell kann aus Nachbarn eine Gemeinschaft entstehen, sehr wahrscheinlich ist es nicht in deutschen Großstädten. Dass Nachbarschaft aber Integration stiftet, das widerspricht allerdings jeglicher Erfahrung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) fragt, was Integration bedeutet und stellt fest:

Zuwanderinnen und Zuwanderer kommen aus unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland. Ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens unter Respektierung kultureller Vielfalt zu ermöglichen, ist das Ziel von Integration. Eine gelingende Integration setzt zum einen den Willen der Migranten voraus, sich eigeninitiativ mit der Sprache vertraut zu machen und sich mit den Normen und Werten der Aufnahmegesellschaft zu identifizieren. Zum anderen erfordert es auch die Bereitschaft der einheimischen Bevölkerung, Zuwanderern mit Offenheit zu begegnen. Nur so ist auf Dauer ein friedliches und partnerschaftliches Zusammenleben möglich.“ (Zitat Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Flyer „Integration“)

Das Bamf kennt seine Pappenheimer, es weiß, dass sich niemand vorstellen kann, freiwillig nach Deutschland zu kommen, und wenn es, aus welcher Not auch immer, Flüchtlinge hier her wagen, sie kaum mit offenen Armen empfangen und als Fressfeinde angesehen werden. Deshalb schwitzen zwei Drittel der Definition diese Angst spürbar aus. Der einzige sachorientierte Definitionsansatz erschöpft sich in der wahnwitzigen Vorstellung der gleichberechtigten Teilhabe. An was? Hier bleibt man nebulös, um sich nicht vollends lächerlich zu machen, also nicht am Reichtum der Gesellschaft, sondern „an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“. Das Motiv der Lebenswelt schimmert durch, welches so erfolgreich war, weil es so abstrakt blieb und so herrlich nach Wald und Wiesen duftet im Gegensatz zur Todeswelt der Fabriken und Büros.[3] Es hat auf jeden Fall alles Gute auf seine Seite gebracht, denn der Gegner der Lebenswelt ist das System, das abstrakte Hassbild der Rechten wie der Linken und aller aufrechten Deutschen, welches jene kolonisiert (Habermas). Hatte man in den 70er wenigstens noch den richtigen Riecher, dass es das soziale System ist, sprich die Gesellschaft, in der der Prozess der Integration stattfindet, zwar mit preußisch-staatlichen Casinoton der Zuordnung von Positionen und Funktionen, so soll man sich heute in das gesellschaftliche Leben integrieren. Nimmt man das Wort „Leben“ wörtlich – übrigens, und das ist kein Zufall, ein in der Reklame sehr häufig benutztes Schlagwort, und wo solche Schlagwörter auftauchen, muss mein kein Psychoanalytiker sein, um zu erkennen, dass das Gegenteil kaschiert werden soll – ist keine Integration in dasselbe möglich, denn wer nicht tot ist, der lebt, egal wo, dafür braucht er sich nicht zu integrieren. Gemeint ist mehr oder weniger unbewusst die Gemeinschaft. Die Lebensgemeinschaft, Nachbarschaft, Lebensraum, die Urenge der Scholle, das Miteinander ohne Vermittlung, Ein – und Unterordnung anstatt das höflich aber distanzierte Nebeneinander konkurrierender und tauschender atomisierter Individuen mit Privatsphäre. Ein Sommermärchentraum, das dem Unbehagen in der Kultur, die Idee des Lagers entgegensetzt, in dem sich das Glück des Einzelnen am Unglück aller entfachen soll und welche die ersten Probeläufe zum Weltmodell in der Geschichte schon erfolgreich absolviert hat. Die Deutschen wollen den Geflüchteten regelrecht auf die Pelle rücken, sie beherrschen und instrumentalisieren, sie gleichzeitig lieben und nicht als Individuen anerkennen. Sie wollen sie vergemeinschaften, können es aber nicht, weil Gemeinschaften auf Nähe und Ähnlichkeit beruhen und in Deutschland in den Hinterköpfen immer noch die idealisierte Idee der Gemeinschaft, die Volksgemeinschaft, herumgeistert. Stoßen solche Annäherungsversuche auf keine Gegenliebe, wie in den meisten Fällen, schlägt die Liebe in Hass um, will der verschmähte Bräutigam sich rächen. Die Flüchtlinge werden durch den Wolf gedreht, um am Ende die Zwangsgemeinschaft der bunten Kartoffeln auszuspucken.

Der „Masterplan“

Im Berliner Masterplan für Integration und Sicherheit steht „am Anfang der Integration […] die Ankunft, Registrierung und Leistungsgewährung (1) der Geflüchteten.“ Sind die Banalität der Ankunft von Geflüchteten und die Verwaltungsakte der Registrierung und Leistungsgewährung bereits Teil der Integration, warum nicht auch der erste Handschlag oder das Ausstellen eines Todesscheines? Auf einen ersten Ansatz, nach der Feststellung, dass Geflüchtete auch irgendwo wohnen (2) müssen, in die richtige Richtung, lässt schließen, dass „Asylsuchende umfassende und bedarfsgerechte Bildungsangebote erhalten (3) und in den Arbeitsmarkt (4) integriert werden [sollen]“. Nicht jede Arbeitskraft ist gefragt auf dem Markt, zweifelsohne wären Bildungsangebote sinnvoll, aber das sind lediglich Voraussetzungen der Integration. Schließlich sei Integration auch die Integration in den Arbeitsmarkt. Die Verdopplung des Wortes „Integration“ lässt auf völliges Unverständnis seiner Bedeutung schließen, es wird meist gebraucht wie Eingliederung. Aber was soll Eingliederung oder Integration in den Arbeitsmarkt bedeuten?

Auf Märkten werden Waren gehandelt, gekauft oder verkauft, auf dem Arbeitsmarkt, wenn man die Unterscheidung schon machen möchte (sie ist nicht wesentlich), wird Arbeitskraft eingekauft oder verkauft. Eingliedern kann man hier nicht, man kauft, wenn man Geld hat Arbeitskraft, um sie im Produktionsprozess zu verwerten. Arbeit ist eine Ware mit einer besonderen Eigenschaft, der Käufer kann sich an ihr bereichern, da sie selbst mehr produzieren kann, als sie für ihre Unterhaltung braucht. Letztendlich kann man wie auf allen Märkten Erfolg haben oder Schiffbruch erleiden mit dem Angebot seiner Waren. Der Begriff „Integration“ bringt keinen Erkenntnisgewinn hinsichtlich des Marktes, integriert ist man im Erfolg wie im Misserfolg, denn der Misserfolg stiftet den Erfolg der Anderen. Jemand bietet dieselbe Ware in besserer Qualität oder billiger an, schon ist der andere der Verlierer und bleibt auf seinen Plunder sitzen. Die Gesellschaft, in der wir leben, die den Zusammenhang zwischen den Individuen stiftet und steuert nach Maßgabe der Verwertung, ist, wie man von FAZ bis Springer richtig liest und hört, eine Marktgesellschaft. Und der Markt hat seine eigenen Gesetze, denen Integration ziemlich egal ist, weil er weder ein außerhalb noch ein innerhalb kennt. Jeder ist dem Markt ausgesetzt. Der Arbeitslose bspw. sorgt dafür, dass sich die Arbeitnehmer anstrengen und als Elite fühlen können.  Ausnahme ist der Staat, er ist der Monopolist der Steuerabschöpfung und der Gewalt. Er vermittelt ebenso zwischen Kapital und Arbeit, um die ansonsten verheerenden Folgen des Marktes für das persönliche Schicksal zu mindern, gelingt es den Konkurrenzatomen nicht, die eigene Ware loszuschlagen. Er garantiert so die finanziellen Ersatzleistungen für den misslungenen Warenverkauf.

Der nächste Punkt des Masterplan bezieht sich auf die Sicherheit: „Während dieser Stationen muss zu jedem Zeitpunkt das hohe Sicherheitsgefühl sowohl der Geflüchteten als auch der  Stadtgesellschaft (5) aufrechterhalten werden.“ Zunächst wird sich hier auf das Gefühl bezogen, sicher zu sein, nicht auf die reale innere Sicherheit, die der Staat oder das Bundesland durch die Polizei ausübt und garantieren soll. Nicht nur, dass es um ein Gefühl geht, mutet eigenartig an, sondern auch das Erwähnen der Banalität der Aufrechterhaltung der Sicherheit für die Bürger in einem Rechtsstaat. Auch hier schwingt die berechtigte Angst vor einem Pogrom an den Flüchtlingen mit, sollte sich das fehlende Sicherheitsgefühl der Bürger als willkommene Legitimation zu demselben anbieten. Mit Integration hat das allerdings nichts zu tun. Hier sind die grundlegenden Rechte von Menschen als Integrationserfordernisse verballhornt. Und es geht weiter: „Darüber hinaus erfordert die Bewältigung der deutlich gestiegenen Integrationserfordernisse eine gemeinsame Anstrengung der Berliner Verwaltung und einer integrativen und offenen Stadtgesellschaft (6).“ Die Berliner Verwaltung war schon vor der Erfassung der vielen Geflüchteten heillos mit ihren Aufgaben überfordert und daran hat sich bis jetzt nichts geändert, allerdings haben die neu geschaffenen Integrationsbüros einigen Berliner einen Arbeitsplatz eingebracht. Diese arbeiten nun darauf hin, die Selbstverständlichkeit der Gleichbehandlung der Bürger durch die Behörden und des Rechts durchzusetzen. Wenn das tatsächlich notwendig ist, stellt sich die Frage, ob dieses Land jemals ein Rechtsstaat war?

In den Punkten 5 und 6 wird Integration absichtsvoll und konsequent mit den Bürgerrechten und der damit verbundenen Nutzung gesellschaftlicher Institutionen verwechselt, die jedem zu Integrierenden ohnehin zustehen. Daran sieht man, dass Bürgerrechte in Deutschland nicht internalisiert, sondern als etwas wahrnimmt, dass man gegen Gesinnung tauscht, wie ein Untertan, der von seinem Herrscher Vergünstigungen bekommt für die Anerkennung seiner Macht. Außerdem wird der Integrationsbegriff in unzulässiger Weise auf die administrative Erfassung Geflüchteter ausgeweitet, ein Vorgang, dem sich jeder Bürger zu unterwerfen hat, der aber keinen Integrationsprozess des Individuums in die Gesellschaft abbildet, sondern einen ordnungspolitischen individuellen Unterwerfungsakt unter die kontrafaktisch vereinbarte Macht des Staates im Tausch für Bürgerrechte und Sicherheit. Denn ohne Ordnung keine Macht, ohne monopolisierte Macht keine Sicherheit der Warenbesitzer.

Integration wird von vornherein als Prozess begriffen, indem der zu Integrierende lediglich Objekt der Verwaltung und um Anerkennung bettelnder Bittsteller ist, dem seine Bürgerrechte nur im Tausch mit der richtigen Gesinnung und Unterwerfung unter die geläuterte Volksgemeinschaft versprochen werden. Die eigentliche Integration, bei der der zu Integrierende nicht nur Objekt ist, sondern durchaus auch Subjekt – wenn auch im entfremdeten Tauschprozess des Verkaufs seiner Arbeitskraft gegen Lohn –  kommt nur am Rande vor und ist komplett unverstanden, wie der Begriff der „Integration in den Arbeitsmarkt“ verrät. Schließlich wird im letzten Punkt, die wohlbekannte Melodie vom Bamf-Flyer wiederholt, die durch ihre Vagheit und die Kraut- und Rübenideologie der Lebenswelt in der deutschen Mehrheitsgesellschaft punkten soll: „Schließlich gehört zu einer gelungenen Integration die aktive Teilhabe der Geflüchteten am gesellschaftlichen und kulturellen Leben (7).“ Dass die sogenannte „Teilhabe“ an Gesellschaft und der Genuss von Kultur – wo immer man diesen auch finden soll – Geld kosten, wo sie nicht subventioniert sind, soll die Lebensmetaphorik überdecken. Die Adjektive „gesellschaftlich“ und „kulturell“  zielen nicht auf Gesellschaft und Kultur, sondern im Kontext der Lebensmetaphorik auf eine eingliedernde Gemeinschaft, verkrampfte Geselligkeit und die vorherrschende Gesinnung – die deutsche Ideologie der Ablehnung von Gesellschaft, Vertrag, Vermittlung und Zivilisation.

Von Gesinnung und Ressentiment lässt sich aber nicht leben, schon gar nicht gut. Von Geld, entgegen der bauernschlauen Weisheit, das man es nicht essen könne, allerdings schon. Deswegen herrscht innerhalb der deutschen Grenzen trotzdem die historisch-spezifische Gesellschaftsform des Spätkapitalismus vor und es gibt, durch den Druck der Alliierten installierte, stabile demokratische Institutionen, die allgemeine Menschen- und Bürgerrechte garantieren. Diese Gesellschaftsform beruht grundsätzlich auf dem Tausch von Waren durch Warenbesitzer. Waren sind durch private Arbeiten hergestellte Güter, die für den Markt produziert werden und dort getauscht werden bzw. ver- oder gekauft werden, vermittelt durch die Funktion des Geldes als Tauschmittel. Jede Ware ist eine Wette darauf, dass sie ein Dienst für die Gesellschaft ist – Moralische Ökonomie! -, das Orakel “Markt” entscheidet, ob sie es wirklich ist, ansonsten wird das in ihr enthaltende Opfer, in Form von Arbeit, nicht vergolten. Der Markt entscheidet also, ob die Wette aufgeht oder ob die Waren keinen Abnehmer finden, weil es bspw. keine Nachfrage, keine Kaufkraft oder bessere Waren gibt. Wird die Ware verkauft, dann zu dem Preis, der dem Verkäufer einen Gewinn beschert. So führt das ewige Rad der Konkurrenz um den Gewinn zur entwickelten Produktion mit dem Zwang zur Mehrwertproduktion. Verlierer sind diejenigen, die nicht mithalten können, deren Waren unverkäuflich sind. Diese Warenverkäufer, die menschlichen Charaktermasken des überflüssigen Kapitals, werden in das immer größer werdende Heer der an Produktionsmittel Besitzlosen geschleudert, denen einzig bleibt, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Arbeitskraft ist das frische Blut des unendlich wachsenden Geschöpfes der Weltwirtschaft, das ihm seine Gewinne einbringt, den der mechanisierte und digitalisierte Fortschritt aber gleichzeitig immer verknöcherter werden lässt, bis die Sklerose das Blut staut. Unternehmen werden Konzerne, Konkurrenz wird Monopol, Märkte werden Trusts, Risiken sozialisiert, die Welt verwüstet und in einen einziger großer Müllhaufen verwandelt, der von der Peripherie schon bis in die Zentren stinkt und selbst den happy fews nicht mehr gefällt. Wie auch immer: Eines wird garantiert, dass aus Geld mehr Geld wird, zur Not auch ohne Konkurrenz und Tausch, mit Absprache, List und Gewalt. Das Geld stiftet die wahre Synthesis der Gesellschaft der Individuen, und das ist eigentlich kein großes Geheimnis: Money makes the world go round! Es spiegelt den Menschen in aller Klarheit ihre eigenen Beziehungen wider. Es ist nur da ein Geheimnis, wo der Blick auf die Realität versperrt ist. Und er ist da versperrt, wo sie weder verinnerlicht noch akzeptiert wird – Und immerhin: Die Anerkennung der Realität ist Bedingung ihrer Aufhebung! -, wo das Ressentiment des autoritären Charakters, gefangen in der analen Phase, wütet und die Welt zerstören will, die sich ihm nicht beugen will.

Jedenfalls, für den Markt hergestellte Güter sind Güter, die die Gesellschaft konsumiert, am Leben hält und ihre Entwicklung abbildet und ihren Reichtum ausmacht. Geld bildet den Wert der Waren ab, ist Wertmaßstab, Tauschmittel und besitzt zugleich den Wert, den es abbildet. Jede Ware ist durch Geld gleichen Wertes abbildbar. Es ist der geronnene Tauschwert. Der König aller Waren (Marx). Geld ist, mit anderen Worten, was die Gesellschaft zusammenhält, der buchstäbliche Kitt zwischen den Menschen, der sie zivilisiert im friedlichen Tausch und der sie rationalisiert in der Kalkulation des Tausches, der sie gegeneinander ausspielt im Spiel um den größten Gewinn und damit zugleich den gesellschaftlichen Reichtum potenziert. Das ist, was im emphatischen Sinne erst Gesellschaft erschafft, nämlich einen komplexen Zusammenhang aus Arbeitsteilung, Tausch, Vertrag, Konkurrenz, Recht, der durch Geld zusammengehalten wird und nicht durch unmittelbare Macht und Gewalt von Herrschern über Untertanen, die so ausgepresst werden. Der demokratische Staat ist dabei der unverzichtbare politische Komplementär der emphatischen Gesellschaft, die Bürger treten freiwillig ihre politische Macht an einen gewählten Machtmonopolisten ab, mit der Forderung, sie und alle anderen Warenbesitzer voreinander vor Raub zu schützen.

Auch wenn der Wortstamm von Gesellschaft nach Geselligkeit kling, könnte nichts ferner liegen. Kant sprach auch deshalb schon von der ungeselligen Gesellschaft. Der Mensch trägt seinen gesellschaftlichen Zusammenhang in der Hosentasche mit sich, wie es Marx lapidar, aber absolut treffend ausdrückte. Ebenso ist man umso besser integriert, je dicker diese Hosentasche ist. Das Schicksal des Nicht-Besitzes von Produktionsmittel teilen die zu Integrierenden nun mit fast allen bereits Integrierten: Sie müssen auf Gedeih und Verderb ihre angeborene Ware, ihre Arbeitskraft verkaufen bzw. mit Kompetenzen aufrüsten, bis der Markt entscheidet, dass sie es Wert ist, konsumiert bzw. gekauft zu werden. Arbeit ist in der kapitalistischen Gesellschaft Lohnarbeit, deshalb wird Arbeit mit Geld gekauft. Das ganze Geheimnis der Integration hängt am Geld. Die psychische Abwehr dieser formalen wie bornierten Bestimmung ändert am Sachverhalt der Integration durch das Geld keinen Deut, sie bläst lediglich das ideologische Bewusstsein auf. Wo dieses falsche Bewusstsein – welches falsch ist, weil es Realität verdrängt – allerdings in das politische System dringt, und die Reeducation Stück für Stück demontiert, schafft sie Realitäten, weicht das Recht auf und passt sich den Forderungen des Spätkapitalismus an und wird zur realen Gefahr für das Individuum. Schon heute ist deshalb jeder ein Bittsteller, weil potentiell Arbeitsloser, der keineswegs ein Tauschpartner des Kapitals auf Augenhöhe ist, wie die Ideologie längst vergangener Zeiten weismachen wollte. Er ist Bittsteller bei Arbeitgebern ebenso wie bei der Arbeitsagentur, er ist Objekt von Politik und Verwaltung, seine Integration in die Gesellschaft und ihren Reichtum hängt am Geld, für das er nun wieder bettelt wie einst der Leibeigene.

Die formale gesellschaftliche Integration ist sowohl ohne Identifikation als auch Gemeinschaftsbildung möglich, die Moralische Ökonomie und ihr politscher Rahmen machen es möglich, bestimmte persönliche Freiheiten mit den Anforderungen der Gesellschaft parallel laufen zu lassen, wie bspw. die Chinatowns in den USA beweisen. Der Mangel an Gesinnung, der in Deutschland mit dem falschen Begriff der Parallelgesellschaft denunziert wird, ist das Elixier der persönlichen Freiheit, die sich am Privateigentum bildet, in einer Gesellschaft der unpersönlichen Unfreiheit, die sich dort besonders schmerzhaft bemerkbar macht, wo dieses Privateigentum eher mickrig ausfällt.

Identifikation als Subversion

Ohne Identifikation allerdings desintegriert sich die Gesellschaft dauerhaft. Wenn ihre Institutionen die große Masse der Individuen nicht für ihre Opfer in einem gewissen Maß – was dieses Maß ist, ist historisch-spezifisch sehr unterschiedlich – entschädigen kann, erodiert sie und macht sie einer anderen Gesellschaftsform Platz. Die Moralische Ökonomie der kapitalistischen Gesellschaft schafft es erstmalig, den Zwang der Ausbeutung der armen Masse durch eine privilegierte Klasse ohne unmittelbare Gewalt oder Gewaltandrohung durchzusetzen. Einerseits indem sie die Privilegierten (Ancien Régime) aus der Herrschaft vertrieben hat und Herrschaft nun demokratisch legitimiert und andererseits den Dienst an diese Gesellschaft ohne Gewaltherrscher belohnt, durch Gewinne oder Arbeitslohn. Die Identifikation ist somit heute implizit, sie vollzieht sich hinter dem Rücken der Menschen. Sie ist nicht mehr ein bewusster Akt der neuen herrschenden Klasse, des ausgestorbenen Bürgertums. Wer am Tausch der Produkte seiner privaten Arbeiten gegen andere teilnimmt, der identifiziert sich durch die Belohnungserwartung mit dieser Gesellschaftsform. Auch wenn die Ablehnung der Schufterei und das Empfinden, einen schlechten Deal gemacht zu haben, überwiegen, ist das Einverständnis, welches ohne Identifikation nicht denkbar ist, vorausgesetzt. Die  gesellschaftliche Umwelt ist den Menschen zur zweiten Natur geworden, die sich über Generationen eingeschliffen hat und das Bewusstsein über ihre gewaltsame Einübung längst verloren hat. Ein Außerhalb ist unvorstellbar geworden, jedes Zucken jede Regung wird durch die Kulturindustrie plattgewalzt.

Dagegen ist eine emphatische Identifikation, die sich selbst genügt und so oft gefordert wird, wenn man es genau nimmt, auch gar nicht möglich. Denn diese kann nie sie selbst sein, ohne zugleich über sich hinauszugelangen, d.h. sich selbst infrage zu stellen und aufheben zu wollen. Die empirischen Ausformungen von Identifikationen haben deshalb auch einen ganz anderen Charakter, nämlich den von Instrumentalisierungen oder Surrogaten: Wo die Identifikation emphatisch wird, ist sie entweder Reklame oder Ideologie, d.h. die Menschen, die im höchsten Maße von der historisch-spezifischen Gesellschaftsform profitieren, propagieren sie im Namen eines allgemeinen Wohls, wo sie doch ihres im Sinn haben, oder sie nimmt den Charakter einer Zivilreligion an, die die ehemaligen humanen Errungenschaften in Ritualen der Anbetung verewigt, um sie vor der Aufhebung in menschlichen Zustände zu schützen. Aber der Weltgeist ist schon weiter: Mittlerweile bewahren die Zivilreligionen Demokratien vor ihrem Zerfall, da der verpasste Zeitpunkt der Revolution den Spätkapitalismus der Konzerne und Kartelle jeglichen emanzipativen Charakter genommen hat und am Ende die Barbarei mit ganz erstaunlichen Mitteln der Vernichtung und der Unterdrückung wartet. Eine emphatische Identifizierung hingegen, die auf einer Reflexion der gesellschaftlichen Verhältnisse, ihrer Errungenschaften, wie ihrer Versagungen beruht, kann sich nicht mit diesen Verhältnissen identifizieren, ohne über sie hinausgelangen zu wollen. Identifikation ist somit Subversion, und damit genau das, was diejenigen, die sie so energisch von Migranten fordern, eigentlich nicht wollen. Was sie wollen, ist die Identifikation mit der Gemeinschaft, oder vielmehr mit der vorgestellten Gemeinschaft, der imagined community des Volkes. Nicht der bürgerlichen Nation wie bspw. in Frankreich, die immer die Voraussetzung von Gesellschaft beinhaltet, sondern Gemeinschaft als Stamm, als deutsche Volksgemeinschaft der Ablehnung von Gesellschaft und Kosmopolitismus. Da es Ausländer in einer solchen Gemeinschaft, die schon definitorisch ihre Mitgliedschaft ausschließt, doppelt schwer haben, verlang diese im höchsten Maße nahtlose Einpassung in die Gesinnungsgemeinschaft, Unterordnung und ewige Dankbarkeit. Und damit ein Potpourri der Unterwerfung, Entindividualisierung und Anpassung, welches alle Errungenschaften der emphatischen Gesellschaft unterläuft. Die Geflüchteten, die zunächst dankbar für das gewährte Asyl waren, werden so in Feinde verwandelt, weil dieses “Angebot” alle ihre Erwartungen und ihren Fluchtgründen zuwiderläuft.

Gemeinschaftsbildung in einer Kulturnation – Eine Lebenslüge als Surrogat und Instrument

Der propagierte Vorrang der Illusion vor Realität, von Integration in Gemeinschaft anstatt der Gesellschaft, hat gegen alle Empirie ihren genauen Grund in der vorherrschenden Ideologie. Wie jede Ideologie kann sie sich auf eine Partikel Wahrheit berufen. Sie beruht auf der Abwehr des offenen Geheimnisses, das mehr gespürt als verstanden wird, nämlich dass die kapitalistische Gesellschaft mehr versagt, als sie je versprochen hat für den Großteil der Menschheit, dass sie für die gebrachten Opfer eines Arbeitslebens wie im offenen Vollzug nicht entschädigen kann, auch wenn sie in ihren Zentren die Menschen aus Armut, Unwissenheit und direkten Gewaltverhältnissen befreit hat. Freud meinte deshalb sogar: „Es braucht nicht gesagt zu werden, das eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt läßt und zur Auflehnung treibt, weder die Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten, noch es verdient.“ (Freud, Die Zukunft einer Illusion, GW XIV, 333) Weil aber eine Kultur, die trotz der enormen Opfer, mehr versagt als sie gibt, zugleich in ihrer historisch-spezifischen Gestalt durch die treibhausmäßige Entwicklung der Produktivkraft, die Voraussetzung der Emanzipation schafft, ist ihre Beseitigung aus dieser Wut mit dem Verlust der Voraussetzung dieser Emanzipation verbunden. Da eine Identifikation mit unbefriedigenden Verhältnissen nur mit ihrer Utopie und deren Verwirklichung stattfinden kann, ist die Versagung auf Dauer, prolongiert durch Religion und Ideologie, im Angesicht des unermesslichen Reichtums in den Zentren des Kapitalismus nicht hinnehmbar.

Ohne eine schmerzhafte Konfrontation mit der Realität allerdings, mit Reflexion auf die herrschenden Verhältnisse, ein Aufklären ihrer Voraussetzungen, kann aus der angestauten Wut keine Emanzipation erfolgen. Das Verdrängte kommt in anderer Gestalt, nämlich in der Form der deutschen Ideologie, die jeder hier im Laufe seiner Ontogenese internalisiert, zurück. Der Inhalt des Verdrängten kommt in unterschiedlichen Formausprägungen an die Oberfläche: Die Elite des neuen, besseren, Deutschlands instrumentalisiert die Nazivergangenheit wie die Reeducation, um als geläuterter Player auf der Weltbühne – Denn wer kann geläuterter sein, als derjenige, der das größte je begangene Verbrechen verübt hat? -, als moralischer Weltmeister die Welt zu belehren und sich einen Standortvorteil im internationalen Hauen und Stechen zu verschaffen. Die sogenannten Verlierer, im Weltmaßstab durchaus Gewinner, verzichten auf diesen Umweg und beleben den alten Revisionismus in einer politischen Volksbewegung, der ihren Ressentiments ohne größere List Abfuhr verschafft. In feindlicher Abneigung sind so das alte wie das neue Deutschland vereint in der Ablehnung von Gesellschaft und Vernunft und in die Apologie einer Ideologie der Gemeinschaft, egal, ob sie die europäische oder die germanische heißt.

Aber diese Ideologie ist eine instrumentalisierte Lüge, die aufrecht gehalten wird, um Gesellschaft in toto abzulehnen. Denn nirgendwo ist der Gemeinschaftssinn geringer ausgeprägt als in Deutschland, nirgendwo hassen sich die Menschen untereinander mehr, sind sie sich nichts weiter als Konkurrenzatome. Die spontane Geselligkeit einer Gemeinschaft, der Austausch von Gedanken und Zärtlichkeiten, die auf Sympathie und Unvoreingenommenheit gegenüber anderen Menschen beruht, ist hier nur eine ungeglaubte Lüge, nicht umsonst beneidet man diese Form der geselligen Gemeinschaft am Süden Europas. Gemeinschaft in Deutschland hat die Realität des Zwangs, Gemeinschaft entsteht hier aus der Not heraus, aus der des Schützengrabens oder der der partnerschaftlichen Ehe oder der des arbeitsteiligen Vernichtungstrupps im nationalen Surrogat der imagined community. Das Amalgam aus Verdrängung und Ablehnung der eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse und die Instrumentalisierung eines verlogenen Gemeinschaftsbegriffes wirken auch für hier lebende Ausländer abstoßend. Eine aktuelle Studie bestätigt, dass unter hier lebenden Expats kein anderes Land des Westens unbeliebter ist als Deutschland.[4] Selbst Länder mit eingeschränkten Bürgerrechten sind beliebter, sodass sich Deutschland gerade noch so vor Saudi-Arabien auf der Hitliste der unbeliebtesten Länder behaupten kann, wo immerhin Homosexuellen und Andersdenkenden die Todesstrafe droht.

Wie Deutschland keine Bürger, sondern nur die Karikatur des Bildungsbürgers hervorbrachte, so ist dieses Land keine Nation geworden, sondern versteht sich als Kulturnation. Eine Kultur, die alle Errungenschaften moderner Gesellschaften nur durch äußere Mächte anzunehmen gezwungen war, mit der Androhung der Auslöschung dieser Kultur, mit der ja irgendetwas nicht stimmen konnte, angesichts der bis dato unvorstellbaren Verbrechen ihres Staats und ihres Volkes. Eine Kultur, die weiterhin ihre Identität bildet an der Abwehr von Vernunft, Gesellschaft und Menschenrechten in Form einer Ideologie der Apologie von Irrationalität, Gemeinschaft und Partikular(vor)rechten. Dementsprechend kann Integration nur innerhalb letztgenannter Kategorien gedacht werden, in Kategorien der Realitätsverweigerung. So stoßen Menschen, die aus den verfallenden Rändern der gescheiterten Weltgesellschaft, von Krieg und Perspektivlosigkeit getrieben, auf ein 80 Mio. Menschen-Völkchen, welches ihnen genau das verweigern will, wonach sie suchen und sie zu Opfern ihrer mutlosen Kollektivpsychose macht. Hier können sie weder Individuen noch Bürger werden noch Mitglieder einer Nation. Deswegen ist der Slogan “Bunt statt Braun” keine Metapher auf individuelle Vielfalt, nicht auf Toleranz und schon gar kein Plädoyer für die Utopie einer Gesellschaft, ” in de[r] man ohne Angst verschieden sein kann.”[5], sondern eine zum allgemeinen Einverständnis zwingende Ideologie. Sie will die Individuen auf ihre Identität festnageln in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, in der jeder, der nach seinem eigenen Glück strebt, als Abtrünniger angesehen und als Feind bekämpft wird und dadurch letztendlich die Zwangsgemeinschaft erneuern und festigen soll.

[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/integrations-debatte-die-grenzen-der-anpassung-15708212.html Bei Kaube ist der Begriff der Gesellschaft komplett verdrängt, er kann sich nur verschiedene soziale Kreise vorstellen, in denen das Individuum Mitglied ist, die er “Sozialgebilde” nennt und in die niemand vollständig integriert sein könne, weil er sonst wie ein Sektenmitglied assimiliert wäre, und ohnehin: “Ein jeder hat eine andere Integrationsvorstellung.” Wenn also ein jeder eine andere Wahrheit hat, gibt es gar keine, so die Logik Kaubes, die er von anderen fordert, aber selber ad absurdum führt. Um so eine Verdrängungsleistung kann er dann einen Popanz von bornierten Meinungen und veralteten Traditionen aufbauen, deren Ansprüche an Konformität und Assimilation das gebildete FAZ-Leser-Individuum nie und nimmer zustimmen könnte. Ein beispielhafter Text der oberflächlich Individualität propagiert, indem er totale Integration als Forderung der Öffentlichkeit ablehnt, zugleich aber sich darum drückt, sie zu definieren, weil es am Tabu der Reflexion auf den gesellschaftlichen Zwangszusammenhang rührt.

https://www.nzz.ch/meinung/was-bedeutet-es-eigentlich-integriert-zu-sein-ld.1411640 Auch hier wird Integration als Integration in Gemeinschaft vorgestellt, die immer zur hier abgelehnten Assimilation tendiert, weil sie auf Nähe und Gleichheit beruht. Die Autorin will das Missverständnis der Nichtunterscheidung von Gesellschaft und Gemeinschaft aber durch die bunte Gemeinschaft auflösen, deswegen schlägt sie die paradoxe Gemeinschaft der Ungleichen vor, die sich – immerhin – auf einen Minimalkonsens der Gleichheit, nämlich auf die säkulare Ordnung beruft, sprich auf Normen und Gesetze beruht. So kommt das Gesellschaftliche durch die Hintertür in die falsche Vorstellung von Gemeinschaft. “Integration bedeutet nicht, alle Unterschiede aufzugeben. Sondern es bedeutet, die säkulare Ordnung als äussere Begrenzung der eigenen Identität zu akzeptieren – und das gilt sowohl für neue als auch für alte Einwohner.” Die Autorin kennt nur Kultur und Gesetze (säkulare Ordnung), so wird Integration zu einem amüsanten Rechenspiel, verschiedene Kulturen vermischen sich zur Melange. Die eigene Kultur muss dann ein paar Prozentpunkte für eine andere eingeschränkt werden, sodass sich die Normalität für Eingewanderte, sagen wir um 70% verschiebt, für die alteingesessene Mehrheit um 30%. Diese Einschränkungen zielen besonders auf die kulturelle Form der Eigenheiten; der universal unterstellte Inhalt (säkulare Ordnung) werde nicht berührt. Dafür gibt sie ein sehr amüsantes Beispiel: So soll ein muslimischer Junge, der einer Frau nicht die Hand schütteln will – eine Respektbezeugung in Europa – ihr eine andere Respektbezeugung erweisen – nämlich aus seinem Kulturkreis. Der Inhalt (die Respektbezeugung) berührt also überhaupt nicht die Form (das Händeschütteln), der dialektische Zusammenhang, dass kein Inhalt ohne Form und umgekehrt denkbar ist, wird hier auch empirisch beleidigt. Das verweigerte Händeschütteln ist keine Kulturform, sondern der Kern ist eben gerade die Nicht-Erweisung des Respekts gegenüber einer Frau, die mehr einen Eigentumsstatus gegenüber Männern hat, dieses Privileg des Mannes wird mit dem Islam gerechtfertigt. Eine andere Form der Respekterweisung wird deswegen auch überhaupt nicht mehr von der Autorin ausgeführt, kein Wunder, es gibt sie auch im Islam nicht. Ebenso wie die Gemeinschaft in kulturelle Quanten aufgeteilt wird, wird auch das Individuum zerschnitten, es darf nur da Individuum sein, wo es Exemplar der eigenen Kultur ist, Gesellschaft oder besser ihr juristischer Überbau (säkulare Ordnung) beschneidet sein Heiliges, um Toleranz zu andern zuzulassen. Gesellschaft und kulturell determiniertes Individuum werden als Gegensätze vorgestellt, nicht als dialektische Momente, in denen Gesellschaft erst Individualität ermöglicht. Die Ignoranz der Gesellschaft und die bornierte Quantifizierung der Gemeinschaft in Kulturpartikel wären noch zu verschmerzen, wenn die sogenannte säkulare Ordnung auf Vernunft beruhen würde, aber die Autorin schlägt letztendlich vor die säkulare Ordnung durch die Machtverhältnisse von Kulturen „aushandeln“ zu lassen und so den universellen Anspruch von Vernunft zu vernichten.

[2] https://www.paritaet-berlin.de/themen-a-z/themen-a-z-detailansicht/article/integration-gelingt-wenn-nachbarschaft-entsteht.html

[3] Der Begriff der Lebenswelt, der ebenfalls in den Definitionen durchklingt und hier und da auch verwendet wird, wurde einst von Husserl entwickelt, um der Verabsolutierung des physikalistischen Natur- und Weltbildes um 1900 etwas entgegenzusetzen. Denn die Lebenswelt werde, nach ihm, durch die intersubjektiv agierenden Subjekt geschaffen und die Naturwissenschaften sind innerhalb dieser ein Instrument der Selbsterhaltung und -entwicklung dieser Subjekte. Dieses Bewusstsein der gesellschaftlichen Genese des Physikalismus wollte Husserl als Heilmittel gegen dieselbe verabreichen, um die Menschen vor der Instrumentalisierung durch die eigenen Mittel zu bewahren. Aber das fin de siècle war in Deutschland auch das Zeitalter des völkischen Obskurantismus, der sich als Wissenschaft ausgab und den Begriff der Lebenswelt dankbar an- und in seinen Vitalismus aufnahm. Die Mentalität der Deutschen wurde durch die Lebensmetaphorik stark geprägt, kam sie doch dem eigenen Unbehagen in der Kultur als theoretischer Rettungsanker sehr entgegen und ließ sich zudem zur Wissenschaft nobilitieren, die ihr Unangreifbarkeit garantieren sollte. Mit der Niederlage des NS war diese Wissenschaft zwar vom Tisch, aber nicht aus den Köpfen. Wie ein Alp lastet sich noch heute auf dem Gehirn der (nicht nur der deutschen) Lebenden und befeuert und rechtfertigt ihre Ressentiments.

[4] (https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article181434044/Fachkraeftemangel-Expats-fuehlen-sich-in-Deutschland-nicht-willkommen.html; http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/auslaendische-fachkraefte-moegen-deutschland-nicht-15779364.html

[5]Adorno: Minima Moralia

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