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Die normale Reaktion auf ein Pogrom, in dem Menschen abgeschlachtet, verstümmelt, gedemütigt, vergewaltigt oder entführt werden, ist zumindest Mitleid mit den Opfern und Ekel, Wut oder Hass gegenüber den Tätern zu empfinden. Damit rechnete wohl auch einige Israelis als sie nach dem sadistischen Morden der Hamas am 7.10.2023 begriffen, was überhaupt geschehen war. Stattdessen aber erwachten sie, noch bevor die Toten und Entführten gezählt, die Verteidigung organisiert war und eine weitere Bekämpfung der Täter überhaupt erst erfolgte, in einer antisemitischen Dystopie. In den westlichen Metropolen des Wohlstandes gingen die Menschen zu Hunderttausenden auf die Straße, von New York, über Paris und London bis nach Berlin reihten sie sich in die Reihen von Hamas-Anhängern und radikalen Antisemiten ein, um gegen die Opfer, nicht die Täter, zu demonstrieren, deren Taten sie als berechtigt ansahen, eine Selbstverteidigung der Opfer, das „Nie wieder“ durch die Zerstörung der Terrororganisation hingegen nicht. Ihre Vorwürfe stattdessen: Genozid an den „Palästinensern“, illegale Okkupation von Land, Apartheid, Rassismus; ihre Schlussfolgerungen: das sadistische Morden ist gerechtfertigt, eine Selbstverteidigung Israels nicht rechtmäßig. Ihre Forderungen: die Abwicklung des Staates Israel, „From the River to the Sea, Palestine will be free“. Was sind das für Menschen, die die Realität verdrehen oder leugnen, daraus falsche Prämisse fabrizieren und zur Schlussfolgerung kommen, dass die Opfer vernichtet und die Täter belohnt gehören? Es handelt sich schließlich in der Mehrzahl um ganz normale Bürger, nicht um weltfremde Höhlenbewohner, im Alltag sind diese bestimmt keine Unmenschen und besitzen auch keine sardonische Boshaftigkeit oder schwarzen Humor. Viele sind ganz ernsthaft gegen jede Gewalt, haben gute Jobs oder wollen welche haben, in denen sie Verantwortung übernehmen, sich entfalten und „Gutes bewirken“ können. Auf der Straße aber solidarisieren sie sich mit der Hamas, die das größte Pogrom an den Juden seit der systematischen Vernichtung des europäischen Judentums durch die Nazis veranstaltet hat. Was sagt das über eine Gesellschaft aus, in der sich gerade diese protestierenden Menschen als Avantgarde derselben betrachten? In der diese Menschen - akademisiert, nett und höflich, sich oft links einordnend, antirassistisch, meist jung – plötzlich die Menschheitsbedrohung der Klimaerwärmung vergessen und sich stattdessen mit einer Mörderbande solidarisieren und sich mit ihrem Ziel, der Vernichtung Israels, identifizieren.

Es brauchte fast einen halben Tag bis die ersten Kräfte der israelischen Armee, noch unorganisiert und leicht bewaffnet, in den zerstörten Kibbuzim und auf dem mit hunderten Leichen übersäten Musikfestival nahe dem Gazastreifen eintrafen und die Mörderbanden der Hamas versuchten zu stoppen, wofür sie gekommen waren: Massenmord und äußerste Erniedrigung der Juden, die sich erlaubten neben ihnen zu leben. Schneller noch waren die Proteste im westlichen Wohlstandsgürtel organisiert, professionelle Israelhasser, arabische Exilanten mit finanzieller Unterstützung aus Katar organisierten Demonstrationen, die sich alsbald als Massenaufläufe gegen den jüdischen Staat und seine Verteidigung entpuppten. Ein voller Erfolg für alle: Ganz normale Leute schlossen sich in Massen den Protesten an, daraus entstand eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Die Organisatoren waren vom Vorwurf des Antisemitismus freigesprochen, denn wenn so viele normale Bürger mitmachen, muss was dran sein, am „Kindermörder Israel“. Die mitdemonstrierenden Bürger wiederum konnten von der großen Aufmerksamkeit profitieren, sie konnten sich selbst bestätigen, dass sie gute Menschen waren: Wer ist schon für Kindermörder, gegen die Freiheit und für Okkupation? Darüber hinaus war es auch ein großer politischer Triumph. Die Regierungen des Westens kamen zu dem Schluss, dass es sich hier um eine wirklich breite Massenbewegung handelt, sie wollten keine Wähler verlieren und erhöhten stündlich den Druck auf Israel. Kaum ein Tag, an dem US-Außenminister Blinken Israel nicht aufforderte, seine Selbstverteidigung im Einklang mit dem Völkerrecht durchzuführen, besser noch einer Feuerpause zuzustimmen, am aller Besten aber sich wieder zurückzuziehen aus dem Machtbereich der Hamas. Die israelische Regierung war verwirrt, warum forderten ihre Alliierten sie dazu auf, human vorzugehen, nachdem sie die lokale Bevölkerung evakuierten und die Armee in den Gazastreifen schickte, um sich im Häuserkampf mit den Terroristen aufzureiben, anstatt mit einem Flächenbombardement à la Vietnam keinen Stein mehr auf den anderen zu lassen? Sie begriffen zunächst nicht, dass diese Regierungen auf ihre Kosten einen Wahlkampf führten. Ohne Antisemiten lässt sich heutzutage offensichtlich kaum noch ein Land mehr regieren. Der Druck kam also von den Straßen. Den von dort vernommenen Vernichtungswünschen wollte sich die Biden-Administration zwar nun doch nicht anschließen, sie suchte stattdessen einen Mittelweg: Militärische Unterstützung bei gleichzeitigem rhetorischem Einstimmen in den Ceasefire-Chor.

From the River to the Sea

Die Kernforderungen der weltweiten Demonstrationen gegen Israels Verteidigungskrieg sind und waren, wenn man von offenen Vernichtungsphantasien gegenüber dem jüdischen Staat und antisemitischen Parolen, die auch im Stürmer hätten stehen können, absieht, folgende:

Ceasefire now! Das heißt sofortiger Waffenstillstand und bedeutet nichts anderes als die Forderung an Israel seine Kernfunktion als Staat aufzugeben, nämlich für die Sicherheit seiner eigenen Bürger sorgen zu können. Es bedeutet weiter, die Gefahr des nächsten Massenmords zu akzeptieren, anstatt die für Israel existenzbedrohende Mörderbande nicht ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Die Sorge um die Zivilbevölkerung Gazas wirkt dabei vorgeschoben, wird diese doch direkt durch das Handeln der Hamas in den Krieg gezogen und gefährdet. Noch drastischer kommt die Israel verachtende Haltung in der sarkastischen Forderung „End genocide!“ zum Ausdruck. Es handelt sich bei diesem Slogan um eine veritable Projektion der Intention der Hamas vom 7.10., die ohne Gegenwehr in nämlich einen Genozid geendet hätte. Eine Kriegserklärung, abgegeben als Überfall und ausgeführt als Massaker, kann durch keinen Staat unbeantwortet bleiben. Das dazugehörige Schlachtfeld hat sich dabei Hamas selber ausgesucht: die eigene für den Guerillakrieg präparierte zivile Infrastruktur und dessen Bevölkerung, aus der ihre Mitglieder selber stammen und eine überwältigende Unterstützung generieren. Israel verzichtet nicht darauf, seine existentielle Bedrohung zu bekämpfen, weil die Hamas sich in Städten verschanzt und zivile Opfer als zynische Propaganda nicht nur in Kauf nimmt, sondern sie gezielt fördert. Vielmehr versucht die IDF den Spagat aus der Vernichtung der Terrorgruppe und der Vermeidung ziviler Opfer, indem sie die Zivilbevölkerung evakuiert, vorwarnt und versorgt und nicht zuletzt bereit ist, eigene Soldaten im aufreibenden Häuserkrieg zu gefährden. Kriege sind kollektiver Natur, urban warfare bringt diesen Charakter nur noch mehr zur Erscheinung. Zielen Forderungen, wie „Ceasefire Now“ nur auf die Schwächung der Kernfunktion des Staates ab, bringt der Slogan „From the River to the Sea, Palestine must be free“ die eigentliche Intention auf den Punkt: Keine Zweistaatenlösung, keine Verhandlung, keine Anerkennung des Judenstaates, sondern sie ventiliert die Forderung, dass Israel, als Ursache alles Bösen im Nahen Osten und darüber hinaus, verschwinden möge. Ebenso „Free Free Palestine!“, was soll dieser Slogan bedeuten, befreien von was? Von Israel natürlich! Da die Israelis keine andere Heimat haben, läuft diese Forderung auf die gewaltsame Vertreibung, ethnic cleansing, oder Völkermord, genocide, hinaus; genau das, was man Israel vorwirft, fordert man umgekehrt. Der Slogan „Globalize Intifada!“ möchte diesen Kampf gegen Israel und die Juden vom Nahen Osten auf die ganze Welt ausweiten; Boykott, Belästigung, Schikane bis zu tödlichen Anschlägen und Massenmord sind dabei die Mittel dieses globalen Kampfes. Dieser Slogan ist mit anderen Worten der Aufruf zum ständigen Pogrom gegen alle Juden, egal, wo sie sich auf der Welt auch gerade aufhalten mögen. Expliziter noch ist der Verweis auf die bereits von den Nazis angestrebte Endlösung der Judenfrage: „There is only one Solution – Intifada Revolution“.

Widerstand, aber woanders und dort um jeden Preis

Dass die Beschreibung und Diskussion der „Argumente“ der Anti-Israel-Protestbewegung hier so kurz ausfallen, hat einen einfachen Grund. Man kann einfach davon ausgehen, dass es sich bei den Protesten um Blendwerk handelt, der eigentliche Konflikt und die Opfer sind den allermeisten egal. Ohne zunächst zu verraten, warum, lässt sich dies bereits an der widerspruchvollen Einseitigkeit der Realitätsverweigerung der Slogans ablesen. Einerseits die hysterische Übertreibung der Kollateralschäden der israelischen Kriegsführung und das Umlügen des Krieges in einen Genozid an den Bewohnern des Gazastreifens, andererseits das völlige Ausblenden israelischer Opfer des größten Massakers an Juden seit dem Holocaust. Radikale Israelfeindlichkeit und das Mitleid, das Demonstranten vorgeben für die palästinensischen Opfer zu empfinden, passen nicht zusammen, sie sind hier vielmehr zwei verschiedene Seiten derselben Medaille. Zum einen kann menschliches Mitleid nicht partikular sein, ohne einen Vorwand an anderen Interessen zu verraten. Wer das Massaker an der Israelischen Zivilbevölkerung ausblendet oder sogar gutheißt, dem ist auch kein wirkliches Mitleid gegenüber den zivilen Opfern im Gazastreifen abzukaufen. Die Verfälschung der Realität – ihre hysterische Übertreibung und Erfindung immer neue israelischer Schandtaten zum einen, und ihre komplette Ausblendung zum anderen, die dazu jeden Kontext abschneidet - ist verdächtig. Das Ausgrenzen der Fakten und Zusammenhänge verrät ein gestörtes Verhältnis zur Realität, das sich nicht als kompatibel erweist mit den Absichten und Bedürfnissen der Demonstranten. Die absurde Zuspitzung auf einen wahnhaften Manichäismus zur Trennung eines reinen Guten vom reinen Bösen verrät ein psychologisches Bedürfnis, dem Guten anzugehören, sich mit ihm zu identifizieren und das Böse zu bekämpfen. Dieser Aktionismus, das Surrogat für Handlungsmacht, und dessen Legitimation „das Gute“ haben den Zweck, dem eigenen Leben einen Sinn zu verleihen, welches es in der Ohnmachtserfahrung des Alltags nicht mehr hat. Da die Identifikation mit dem Guten, der Aktionismus und Aktivismus in eigener Sache mit der Konsequenz dieses Handelns, nämlich der Zerstörung Israels, die in Völkermord und Vertreibung enden würde, nicht in das eigene Schema der Selbstwahrnehmung „des Guten“ passt, wird auch verständlich, welcher Zweck das Auftürmen der bösartigsten Anschuldigungen gegen Israel – Genozid, Kindermord, Vertreibung, Apartheid, Rassismus – hat. Er dient der Legitimation des eigenen Handels, welches die gewaltsame Zerstörung Israels zur Folge hätte, wenn aus Wünschen unmittelbar Wirklichkeit würde. Das Verleugnen und Niederschreien diesem Furor widerstreitender Fakten, Argumenten und Meinungen hat einen inquisitorischen Charakter, der ein religiöses Bedürfnis verrät. Dieses religiöse Bedürfnis ist der Ausdruck der Suche nach einem neuen Ersatzgott – der Glaube an Palästina from the River to the Sea statt an die revolutionäre Umwälzung der eigenen bornierten Lebensverhältnisse -, und damit auch nach seinem Ersatz-Antagonisten - dem Ersatzteufel Israel - anstatt der eigenen Ohnmacht im Spätkapitalismus.

Der manichäische Eifer, das Eintreten für „das Gute“ als Instrument der Selbsterhaltung des eigenen Ichs greift zunächst das Denken selbst an. Es schrumpft in dem Maße, wie es die Realität verweigern muss, um es in ihr noch auszuhalten, um sich selber, als Individuum, vor allem noch auszuhalten. Ist dieser Punkt erreicht, ist der eigene Kampf keiner Logik und keinem Restverstand mehr untergeordnet. Dass was man am Gegner „kritisiert“ oder ihm unterstellt, wünscht man ihm dabei wie selbstverständlich selbst an den Hals. Das Reflexionsvermögen setzt an der totalen Parteinahme für die Palästinenser aus, aber nicht, weil man tatsächlich aus guten, moralischen Gründen für sie Partei ergreift, sondern weil sie etwas Existentielles für die Demonstranten selbst repräsentieren. Ihr Kampf repräsentiert ihren inneren Kampf gegen die gesellschaftlichen Umstände, die das eigene Leben zu einem ungelebten machen. Die Parteinahme ist ein Surrogat dieses Kampfes, den sie längst physisch und intellektuell aufgegeben haben. Durch die „Palästinenser“ wird dieser Kampf wieder symbolisch aufgenommen, sie fungieren als Projektionsfläche der eigenen unbewussten Wünsche. Der arabische Widerstand, als „Palästinenser“, gegen den jüdischen Staat repräsentiert für die Demonstranten ihren verlorenen Widerstand gegen den eigenen übermächtigen Gegner; der Gegner in Nahost kann besiegt werden, der eigene hingegen nicht. Mit dem Sieg, also der Zerstörung Israels, soll also symbolisch, real durch ein Surrogat, die eigene Niederlage gerächt oder umgelogen werden. Mit der Realität im Nahen Osten hat das alles nichts zu tun. Ist man sich also über die unbewusste oder halbbewusste Motivation der Demonstranten im Klaren, ergeben die Verdrehung der Realität und das Zusammenzimmern des eigenen moralischen Anspruchs und der daraus resultierende Distinktionsgewinn plötzlich Sinn. Dieser moralische Anspruch ist der letzte hohle Halt der sich allgemein in Auflösung befindlichen Individualität. Der moralische Aktionismus und das Sich-gut-fühlen sind die Vehikel ihrer Selbstachtung, die letzten Surrogate des Ichs, in einer Welt, die dessen Auflösung fordert. Um was es wirklich geht, und ob der Aktivismus überhaupt gerechtfertigt ist, ob das Gutfühlen auch Gutes tun bedeutet, ist zweitrangig. Die hohe Aufmerksamkeit, die der Nahostkonflikt erfährt und das scheinbare klare Verhältnis von Gut und Böse, die Konstruktion von kolonial westlichem Unterdrücker versus indigenen Unterdrückten, ist der ideale Hintergrund für ihr Engagement. Die Sinnsuche hat damit ein Ende, die moralische Anerkennung ist gesichert, denn ein engagiertes Leben ist nie umsonst, man fühlt, dass man nicht ein Leben im Widerspruch, sondern im Widerstand führt gegen die gewaltsamen Verhältnisse, gegen die Machthaber, das Patriarchat, das Finanzkapital und seine Hintermänner, ganz bequem ohne etwas zu riskieren. Es geht gegen die Juden, und da sind sie auf der sicheren Seite. Warum nun gerade dieser Israelhass ausbricht, nachdem nun gerade Israelis die Opfer eines sadistischen Überfalls eines Terrorkommandos geworden sind, wird einem unparteiischen Beobachter sicherlich nicht auf Anhieb klar. Auch dass die Demonstranten nur die unvermeidlichen zivilen Opfer des Israelischen Verteidigung und des erwartbaren Gegenschlags gegen die Hamas anprangern, muss diesen Beobachter zunächst Rätsel aufgeben. Die Realitätsverweigerung, das Ausblenden der israelischen Opfer und des jüdischen Leids hat seine zentrale Ursache darin, dass eine Anerkennung der gesamten Realität des Krieges zwischen der Hamas und Israel das eigene Opfernarrativ der Palästinenser, und damit das ihrer aktivistischen Anhänger, der demonstrierenden Antizionisten aus den Wohlstandsländern dieser Welt unterliefe. Die Realität macht ihnen einen Strich durch die Rechnung, weswegen sie umso lauter bekämpft werden muss. Die Ausblendung oder das Bestreiten des Ausmaßes oder des Sadismus des Massakers vom 07.10. hat die gleiche Funktion wie die Holocaustleugnung. Juden oder Israelis als Opfer können und dürfen für die Antizionisten keine Realität besitzen, weil diese das eigene Entlastungsnarrativ für die Zerstörung Israels unterminiert, die den Juden oder Israel alles Böse zuschreibt, um ihnen selber das Böseste ohne schlechtes Gewissen antun zu können.

Über das säkularisierte religiöse Schema wären noch ein paar Worte zu verlieren. Das eigene unterbewusste revolutionäre Bedürfnis, die Verhältnisse umzuwerfen, die das wattierte Elend im Westen und des buchstäblichen Elends im Rest der Welt verursachen, und die Projektion des eigenen Elends mit den Palästinensern antreibt, ist keines das einem richtigen revolutionärem Bewusstsein entspringt. Es ist vielmehr die quasi-religiöse Bewegung, die dem Marxismus entsprang, also der Halbbildung der marxschen Theorie, als aus der Revolution nichts wurde, und den ihr aufsitzenden Theorien; daher kommt der religiöse, der heilsversprechende Charakter der Anti-Israelischen Bewegung. Was nicht in der Realität sein kann, das muss in einem Reich, das nicht von dieser Welt ist „Wirklichkeit“ werden, und zwar durch ein Ereignis, welches wiederum ganz real ist. Wie der Erlöser am Kreuz stirbt und wiedergeboren wird, und damit ein Christentum auf den Weg bringt, das nur das irdische Elend verlängert und verbrämt, indem er das Paradies im Himmel und nicht auf Erden verspricht, so verspricht die Abwicklung der jüdischen Selbstbestimmung den revolutionären Sieg, der im alltäglichen Leben der Demonstranten nur den einen Unterschied machen wird, dass sie von diesem Augenblick an ein neues Objekt ihres „Engagement“ brauchen werden.

“Israel has become the Jew among the nations”

Der Antizionismus, der betont nichts gegen Juden zu haben, ihnen aber zugleich jegliche Macht versagen möchte, den er anderen Kollektiven ohne weiteres zugesteht, ist die neueste Form des Antisemitismus. Antizionisten haben nichts gegen Juden, nur machtlos sollen sie bleiben. Israel ist, nicht erst seit heute, der Jude unter den Staaten.

Die historischen Phänomene des Antisemitismus sind so bunt wie die Geschichte selber, überhistorisch aber ist die Funktion des Antisemitismus als Surrogat, Gewaltherrschaft zu konfrontieren und das von dieser Herrschaft erzeugte unnötige Elend zu beseitigen. Die Funktion besitzt zwei Elemente: Erstens die Wut der Mehrheit auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie entweder nicht adressieren können oder wollen, auf ein (Ersatz-) Objekt zu richten. Und zweitens als Surrogat gegen dieses Objekt gemeinsam mit Gewalt vorzugehen, anstatt die eigene Macht der Vielen zu gebrauchen, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, und gegen eine ungerechte Herrschaft, gegen Ausbeuter und miserable gesellschaftliche Verhältnisse zu kämpfen. Dieses Ersatzobjekt muss also sehr viel schwächer sein als der Herrscher, am besten jemand der anders ist und nicht ganz zur Gemeinschaft gehört - das sichert die Straffreiheit der Gewalttaten - und der als Ersatzobjekt auch erprobt ist – die über ihn in Umlauf befindlichen Gerüchte sichern die Legitimation der Gewalt, die damit vorgibt berechtigt zu sein, also dem Guten zu dienen. Der Antisemitismus hat also allein mit den Tätern, den Antisemiten zu tun und nicht mit den Opfern.

Die Erprobung des Antisemitismus als „berechtigter“ Vorwand für die Gewalt gegen Juden, und damit sind wir bei seinen historischen Phänomenen, erfolgte bereits in der Antike. Neben der üblichen Unterdrückung, Einverleibung oder Auslöschungsversuchen durch imperiale Reiche gegenüber eroberten Völkern entwickelte sich der antike Antisemitismus nicht aus dem erprobten Vorurteil, sondern aus ganz handfesten Problemen bei Beherrschung des jüdischen Volkes. Denn sehr ungewöhnlich waren in der Antike der völkische Charakter der Juden, sowie ihr Monotheismus, die sich beide auf eine textlich verbriefte Identität und Auserwähltheit beriefen. Das unterlief ganz praktisch den Gottkönigskult antiker Herrscher und den Polytheismus und Synkretismus, nach dem Götter eroberter Völker angeglichen oder dem eigenen Götterkosmos hinzugefügt wurden, um sie nicht zu erzürnen. Die Sonderstellung und Andersartigkeit der Juden stellte die Herrscher antiker Großreiche also vor besondere Probleme, da diese Subjekte zum einen ihren eigenen Gottesstatus nicht akzeptierten konnten. Das andere Problem waren die anderen Herrschaftssubjekte, sie sahen mit Neid auf die widerspenstige Nichtanpassung aufgrund der originär völkischen Identität und des intoleranten Eingottglaubens der Juden. Hinzu kamen der Neid auf die Privilegien, die die Judäer als typisches Handelsvolk der Levantine, zwischen Orient und Okzident genossen. Diese Kombination, der Verdacht auf ein zu einfaches und zu großes Einkommen, und die Schutzlosigkeit durch Andersartigkeit und Absonderung durch Nichtanpassung machten sie zu idealen Objekten der Denunziation und des Pogroms. Je nach Toleranz und Festigkeit der eigenen Herrschaft sahen sich, aufgrund vor allem des Drucks der Straße, also die imperialen Herrscher gezwungen, gelegentlich gegen die Juden vorzugehen. Das psychologische Schema der Projektion auf der ethnischen Ebene war damit etabliert. Der eigene Wunsch nach Reichtum und Freiheit wurde aus den oben angegeben Gründen auf das Volk der Judäer projiziert, anstatt die Ursachen in der Realität wird die Projektion der eigenen Wünsche bekämpft, real durch den Hass auf die Judäer. Für die Etablierung des Antisemitismus fehlte aber noch eine Zutat, nämlich das Gerücht über die Juden. Angeblich soll es ein solches erstes historisches Ereignis gegeben haben. Die seleukidische Herrschaft und ihre Gefolgschaft unterstellte den Juden eine Verschwörung mit Rom und den Verrat an ihrer Herrschaft. Typisch ist die Absurdität dieses Vorwurfes, dass nämlich der angebliche Verrat eines machtlosen Völkchens der Grund der Niederlage eines morschen Reiches gegen einen neuen übermächtigen Gegner war. Seit diesem Punkt wohl war der Antisemitismus ein Betätigungsfeld für Intellektuelle und Akademiker. Von nun an wurden Gerüchte und Verdächtigungen minutiös hergeleitet und ingeniös konstruiert.

Als jüdische Reformbewegung initialisiert, entstand mit der Abspaltung vom Judentum das Christentum. Dieses rief Jesus als Messias aus, das alte Judentum erkannt ihn hingegen nicht an. Von nun beanspruchte das Christentum für seine Anhänger „das auserwählte Volk“ zu sein. Das Alleinstellungsmerkmal der Auserwähltheit und der wahren Eingottlehre wurden den Juden streitig gemacht. Da das Christentum nicht mehr völkisch war und missionierte, wurde das Judentum von der alten starrsinnig konservativen Schwester, Synagogia, zum falschen Glauben. Der Verdacht und das Gerücht über die Juden waren der Ausdruck der eigenen Unsicherheit des neuen Glaubens über die Rechtmäßigkeit des neuen Messias, der ja offensichtlich eben nicht von allen anerkannt wurde. Der Jesus-Messianismus musste sich aus diesem Grund vom Judentum abspalten und das Frühchristentum sich radikalisieren, die Autosuggestion verfestigen, extremere Formen annehmen und beweisen, dass das nun geschaffene Christentum der einzige Weg zur Erlösung sei. Theologen, die Intellektuellen der Spätantike und des Mittelalters, bemühten sich alle möglichen Begründungen zu finden und herzuleiten, um die Suprematie des Christentums zu untermauern und die Juden zu denunzieren. Vom Neuen Testament über die Apokryphen und andere Pamphlete finden man den neuen Antijudaismus, der seinen Weg zum gemeinen Volk alsbald fand und dort im Verdacht und Gerücht über die Juden mündete. Von den Paulusbriefen zu William von Norwich war es kein allzu großer Schritt mehr. Das Judentum musste jedem Christen ein Dorn im Auge sein, da es sich im Gegensatz zum Christentum vom neuen Messias das Heil im Diesseits versprach. Eine schmerzliche Erinnerung an den verdrängten Konflikt mit der Welt im hier und jetzt und dem wahren Grund ihres Leids. Der messianische Anspruch des Christentums konnte aber keinen Massenmord potentieller Christen zulassen, das Pogrom wurde die gewalttätigste typische Form des Antijudaismus und zugleich zum Zeichen der eigenen Ohnmacht, für die das Christentum wie geschaffen war.

Mit dem Niedergang des Christentums und der ersten externen Kritik durch die Aufklärung, änderten sich auch die Formen des Gerüchts und des Verdachts. Der moderne historisch-spezifische Form des Antisemitismus wurde vorherrschend. In der Neuzeit vermischten sich religiöse Motive mit der Forderung an Juden nach nie endender Anpassung statt Ausgrenzung im immer stärker zentralisierten Staat. Im Kapitalismus schließlich bekam die mittelalterliche Trope des Juden als Wucherers einen neuen Gehalt. Von nun an wurden Juden mit anonymen sozio-ökonomischen Strukturen identifiziert, die Personifizierung der Zirkulationssphäre des Kapitals war der Kern des neuen Antisemitismus. Die Projektion der eigenen Wünsche des Proletariats und der Bürger, das anstrengungslose Einkommen anstatt der gnadenlosen Ausbeutung, wurde auf die Juden projiziert und an ihnen bekämpft. Die alte Form bekam einen neuen Inhalt, dieser Antisemitismus war nun ein Surrogat für den Klassenkampf. Als aus dem Sozialismus nichts wurde, wurde er zum Faschismus, in Deutschland gar zum Nationalsozialismus. Die Wahrheitsinstanz war nun nicht mehr die Kirche, sondern die Wissenschaft. Diese gebar den völkischen Antisemitismus als streng wissenschaftlich bewiesenes Ressentiment. Die Intellektuellen waren nun keine Theologen mehr, sondern überspannte Bürger auf Lehrstühlen. Der wahnhafte Manichäismus wurde von nun am Reinheitsgehalt des Bluts bewiesen. Die Spitze des Guten waren die Arier, die Spitze des Bösen die Juden. Dies war wissenschaftlich bewiesen und unwiderlegbar im Blut und im Erbgut festgeschrieben, kein Messianismus, keine Anpassung bis zur Selbstaufgabe der Juden konnte daran etwas ändern. Die Endlösung musste her, gnadenlos und rational in den Mitteln wurde der Wahnsinn zur Methode, der Genozid am europäischen Judentum die Konsequenz. Das Erschreckende war die absolute Rationalität in den Mitteln, dem Aufbau einer modernen Vernichtungsindustrie auf der Höhe der Zeit und die absolute Sinnlosigkeit in den Zwecken, die keiner Rationalität mehr gehorchte, nur ein Ausdruck des Wahns und seiner wahnsinnigen Legitimation des Kampfes des Guten gegen das Böse folgte. „Ich sah nur noch meine Arbeit,“ verteidigte sich der Lagerkommandant Rodolf Höß nach seiner Gefangennahme durch die Alliierten. Himmler ventilierte den Wahnsinn folgendermaßen: „Dies [den industriellen Massenmord an den Juden] durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“

Nach der fast vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums war der Antisemitismus für einige Zeit ruhiggestellt, die Gründung des Staates Israel wurde weltweit eher positiv gesehen. Es brauchte über zwanzig Jahre bis nach einem der vielen Verteidigungskriege Israels die Stimmung wieder kippte. In den 1960ern und 70ern sollte die Dritte Welt die Revolution nachholen, die das Proletariat verpasst hatte, welches mittlerweile selber zum Juniorpartner des Kapitals geworden war und doch nicht ganz zufrieden mit seiner Rolle in der Weltgeschichte war. Die arabischen Führer sprangen auf diesen Zug auf und erfanden, wahrscheinlich mit Unterstützung des KGBs, sich neu. Von nun an waren sie nicht mehr die Führer der arabischen Palästinenser, die sich das britische Mandatsgebiet Palästina nicht mit den jüdischen Palästinensern teilen wollen, sondern heroische Führer des unterdrückten Volks der Palästinenser, die gegen imperialistische Kolonialisten kämpften. Diese Rolle wurde jetzt den Juden angeheftet, ihr Zionismus stand ab diesem Zeitpunkt nicht mehr für eine aus der erzwungenen Diaspora heimgekommenen geglückten Nationalbewegung, die im Konflikt mit den arabischen Bewohnern des ehemaligen britischen Mandats Palästina, teilweise selber Immigranten, stand. Sondern Zionisten galten von nun an als weiße Kolonialisten und Siedler, die die indigene Bevölkerung unterdrückten. Die Unwilligkeit der Araber, sich das Land mit den Juden zu teilen, firmierte nun unter dem Titel „Dekolonisation“. Der im Weltmaßstab eher unbedeutende Konflikt, der vor allem am Unwillen der Araber einen eigenen Staat neben Israel zu gründen, wie es die UN-Teilungsplan vorgesehen hatte, am Laufen gehalten wurde, wurde von nun an zum großen Propaganda-Spektakel. Pan-Arabisten, Islamisten, Ostblockstaaten, später kamen die Autokratien hinzu und fast die gesamte Linke vereinigten sich, um die Zerstörung Israels auf den Weg zu bringen oder zumindest mit Demonstrationen zu unterstützen. Die Mittel der Muslime und Araber waren der Krieg und der Terror, die der gescheiterten Staaten und NGOs der Lawfare in den internationalen Gremien und Organisationen wie der UN und dem Internationalen Gerichtshof, die Linke übernahm vor allem die Propagandafunktion auf den Straßen, in den Universitäten und den Medien. Alle zusammen kamen sie zu dem Schluss, dass Zionismus mit Rassismus, Genozid, Kolonialismus, Imperialismus, Unterdrückung, Ausbeutung etc. pp. gleichzusetzen sei. Dieser Schluss fungiert als das beliebig erweiterbare Entlastungsnarrativ für den eigenen gewaltsamen Wunsch nach der Zerstörung Israels.

Die Dekolonisationsbewegung als letzte Hoffnung, dass die Revolution seinen Ausgang aus der Dritten Welt nimmt, wurde damit begraben, dass sie den westlichen Antizionismus - nicht den arabischen Widerstand gegen die Existenz Israels - dem Antisemitismus anschlussfähig machte. Nach dem 07.10., als der Anti-Israelische Antisemitismus wie ein Naturereignis nach einem Pogrom, welches wie ein Erdbeben auf ein Plattenverschiebung nur gewartet hatte, ausbrach und dessen Schwerpunkte sich nicht in Städten wie Kairo, Beirut, Riad oder Teheran befanden, sondern in New York, London, Paris, Berlin und Athen, also in den Wohlstandsländern Europas und Nordamerikas, verlagerte sich der Antisemitismus endgültig vorrangig auf die Israel-Thematik. Die Juden als Repräsentanten des Finanzkapitals, als Brunnenvergifter und Jesusmörder wurden zu Randthemen aus der Schmuddelecke. Der ehrenwerte Antisemit war nun Antizionist. Der Holocaust-Überlebende und ehemalige Direktor der Anti Defamation League, Abraham Foxman, brachte es auf den Punkt: „Israel ist der Jude unter den Staaten geworden“. Der 7.10. war für ihn der Triggerpunkt, der die Antisemitismus-Eindämmungsstrategie nicht nur seiner Organisation aufbrach. Das Ausmaß des Antisemitismus überraschte Foxman dabei kaum, denn er wusste, dass es endemisch war und nur von einem dünnen Firniss aus Rechtsstaatlichkeit und Zivilisiertheit in der westlichen Welt überdeckt war, der durch ein entsprechendes Ereignis schnell beseitigt werden könne. Überraschend war für Foxman aber die Intensität des Antisemitismus auf den Straßen der Wohlstandsländer, die er auf neue fruchtbare Umstände zurückführte. Diese Umstände sind für ihn das Internet, das als Superhighway des anonymen Gerüchts fungiere, der Verfall der zivilen Sitten durch den Trumpismus sowie seinen neuen Formen der Realitätsverweigerung als „alternative Wahrheiten“, hinzu käme die enorme Einflussnahme arabisch-muslimischer Sponsoren an westlichen Universitäten.[1] Heraus kam ein explosives Gemisch des Antisemitismus in seiner letzten Form als ehrenwerter Antizionismus, der für das „Gute“ kämpfte und Millionen Menschen auf die Straßen und in die Foren des Internets locken konnte.

Wenn Israel der Jude unter den Staaten geworden ist, dann ist der Judenstaat auch nicht mehr der letzte sichere Zufluchtsort der Juden. Wem das Recht und die Pflicht seiner Bürger zu verteidigen oder seine Hauptstadt zu bestimmen, bestritten wird, dem wird das Existenzrecht als Staat als Ergebnis der Souveränität eines Volkes ebenfalls aberkannt. Und zwar dem Judenstaat als einzigen Staaten auf diesen Planeten, deswegen ist der Antizionismus der historisch-spezifisch vorherrschende Antisemitismus, der mit Gründung des Staates Israel zunächst nur ein Stammeskonflikt um ein Territorium war, ab dem Sechs-Tage-Krieg sich aber zur neuen Form des Antisemitismus als Antizionismus entwickelte, der ab dem 07.10. sich vollends zeigte. Wie der modern-verwissenschaftlichte Antisemitismus sein schmuddeliges Erbe des Judenhasses und des Pogroms abschütteln wollte, um mit die Judenfrage „sauber“ zu beantworten, so will der heutige Antizionismus sein national-sozialistisch verseuchtes Erbe des rational-eliminatorischen Antisemitismus abschütteln, um die Israelfrage sauber abzuschließen. Der Genozid, der unweigerlich die Zerstörung Israels mit sich brächte, ist allerdings unweigerlich ein Erbe des Nationalsozialismus, über den eben kein schlimmeres Verbrechen vorstellbar ist. Wie das Erbe des modernen Antisemitismus nicht abzuschütteln ist und sich im Antizionismus bewahrt hat, so ist das Maximalverbrechen des Genozids als Intention des Antizionismus ebenso präsent wie im Antisemitismus des Dritten Reichs.

[1] https://www.timesofisrael.com/former-adl-head-abe-foxman-israel-has-become-the-jew-among-the-nations/

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