Wie sehr der Begriff der Freiheit auf den Hund gekommen ist, merkt man nicht erst, wenn man eine Zeitung aufschlägt. Es reicht die Meinung des Nachbars, das unvermeidliche Einprasseln der allgegenwärtige Reklame auf den Wahrnehmungsapparat, die Phrasen der Politiker. Aber man staunt nicht schlecht, wenn ein bestallter Philosoph in einer großen überregionalen Zeitung über den Begriff der Freiheit auf dem Niveau eines Schüleraufsatzes schwadroniert („Freiheit von / Freiheit zu“) und sein Wesen auf den Modus des ritualisierten Wählens in der Wahlkabine reduziert. Dabei wird man unfreiwillig Zeuge, wie weit die Unfreiheit die Verdummung bis in die Leuchttürme der Geisteswissenschaft getrieben hat. Da Verdummung gesellschaftlich produziert, nicht angeboren ist, ist sie zugleich ein Indikator, inwieweit die Vergesellschaftung total geworden ist. Die ideologische Bestimmung der Freiheit als Modus ist dabei noch nicht der Skandal an sich, daran hat man sich gewöhnt, sondern es ist der Versuch ihrer praktischen Durchsetzung, wie es der Autor empfiehlt. Und zwar in der Form eines Weltstaates, der durch die weltweite Etablierung dieses Modus‘ allgemeine Freiheit für alle Menschen garantieren solle. So fügt sich in der Heilserwartungen der ideologischen Vorstellung von Freiheit gewaltsam zusammen, was sich widerspricht: ein Monstrum von Staat mit unendlicher Machtfülle soll durch dieselbe allen Menschen die Freiheit erzwingen, die man bisher nur im Westen kannte. Als hätte es die Verbrechen von Staaten, im zuvor ungekanntem Ausmaße, nie gegeben; als wäre nicht bekannt, wozu Staaten fähig waren und in zunehmenden Maße sind. Der Autor schweigt darüber, was die Geschichte der Staaten den Menschen auch brachte: Auschwitz und Hiroshima. Einen Vorgeschmack der Umsetzung des Weltstaats kann man bereits heute schon bekommen, wenn man sich den Menschenrechtsrat der UNO ansieht – der faulen Existenz des Monsterstaates der Zukunft -, in dem der Iran, Venezuela, Saudi-Arabien und Konsorten dem Anliegen der Freiheit, im Sinne des Autors, mit großem Engagement bereits nachgehen.
Freiheit ist ein Begriff, kein Modus. Sie ist eine aus dem menschlichen Geiste geborene Abstraktion, von der sich kaum, dank ihrer armen Bestimmung, ein Bild machen lässt. Durch den Gegensatz zu ihrem ebenso abstraktem Gegenteil, der Nicht-Freiheit oder dem Zwang, wird sie kaum greifbarer. Aber die Abstraktion hat ihre Substanz durch einen Wunsch, nämlich dem der Widerstandslosigkeit, der augenblicklichen Durchsetzung gedachter Wünsche, Gottgleichheit. Da das für die irdische Existenz alles nicht viel bringt, muss Freiheit bestimmt werden. Sie muss konkret werden, um begreifbar zu sein. Diese Konkretion gewinnt sie aus der Bestimmung ihrer Wirklichkeit und ihrer Möglichkeit. Was immer heißt: aus der Bestimmung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Freiheit für die Menschen zulassen oder behindern, und aus der Differenz, welche Freiheit für die Menschen unter dem erreichten Niveau der Naturbeherrschung oder des Produktionsniveaus möglich wäre, ohne die bornierten gesellschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart. Noch konkreter, Freiheit darf in ihrer Bestimmung nicht auf Gesellschaft überhaupt bezogen werden – was zu nichts anderem führte als zum sinnlosen Räsonieren über idealistische Modelle, die wiederum unbewusst zu Abziehbildern der existierenden Gesellschaft mutieren -, sondern auf die historisch-spezifische Form der heutigen Gesellschaft, des organisierten Kapitalismus’ oder des Spätkapitalismus’. Das heißt auf die Heteronomie kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten und der grotesken Verteilung ihres historisch-spezifischen Reichtums auf eine Elite und ihre Netzwerke zu Ungunsten des allergrößten Teils der lebenden Menschen, abgestuft vom Elend des stumpfsinnigen aber materiell gesicherten Lebens von Arbeitenden wie Arbeitslosen in den Zentren dieser Gesellschaft bis zum nackten Elend der prekären Existenz bzw. des Hungertodes in ihrer Peripherie.
Bei Otfried Höffe ist Freiheit ein Modus, und zwar der des Wählens. Da er als Beamter einem demokratischen Staate als Lehrer dient, könnte man ihm dies als Treue und Untergebenheit zu seinem Brotgeber auslegen: Ein Ideologe, dem sein Hemd näher liegt als die Wahrheit, zu die er als Wissenschaftler verpflichtet sein sollte. Darum müsste man kein großes Aufheben machen, das ist eher Alltag als ein Skandal und nur allzu verständlich. Jeder muss sehen, wo er bleibt. Aber leider liegt der Fall anders, wie es sich an seiner Interpretation der Freiheit ablesen lässt. Denn bei Otfried Höffe ist bereits alles vorentschieden, die gedankliche Arbeit der Begriffsbestimmung ist ersetzt durch eine Matrize, von der das immer gleiche Phantombild abgezogen werden kann. Deshalb gibt es bei ihm auch nur zwei “Nachteile” der Freiheit, vor die er seine Leser ausdrücklich warnt: “das Wählen [ist] vom Dürfen ins Müssen umgeschlagen” und “Freiheitswesen [sind] zum Missbrauch der Freiheit fähig”.
Höffe bestimmt Freiheit von vornherein als “Gut” unseres Zeitalters, der Moderne. (Was er wohl meint ist die verallgemeinerte Freiheit des Individuums im Bürgertum.) Als hätte es nicht immer Herrscher gegeben, die die Freiheit hatten, über das Leben von Millionen Menschen zu verfügen. Das Phänomen solcher Freiheit gibt es natürlich auch in der Moderne. Hat Hitler nicht die Freiheit gehabt, Konzentrationslager zu bauen und Menschen zu vergasen, weil man ihn ließ bzw. unterstützte? Höffe gibt schließlich zu: “Freiheitsphänomene gibt es in irritierender Fülle.” Und ordnen ließen sich diese “entlang der Unterscheidung einer negativen und einer positiven Freiheit.” Anstatt der Entwicklung des Begriffs also ein Ordnungsschema; da dieses in jedem Sozialkundebuch für die Mittelstufe zu finden ist, muss es wohl stimmen. Dieses Schema kann dann über die Wirklichkeit gestülpt werden, aus der es selber stammt. Hier passen Schablone und Exemplar der Schablone ganz natürlich zusammen. Negativ ist die Freiheit von etwas, bspw. von Bevormundung und Zwang, wie Höffe verrät, anzufügen wäre aber auch von Geld und Rechten, aber daran hat die Schablone nicht gedacht. Positiv ist die Freiheit zu etwas. Höffe führt hier auf, die “Fähigkeit, selber Ziele zu setzen und Mittel zu wählen, Ziele und Mittel, die ein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu führen erlauben.” Aber eben auch zu zerstören oder nach der Vorstellung anderer Menschen oder anderen Zwängen sein Leben zu führen. Ja, die Fülle der “Freiheitsphänomene” ist irritierend. Deswegen: “Wer beim Nachdenken über die Freiheit nur Vorteile sieht, ist naiv.”
Dass die Naivität, die kaum etwas über die Wirklichkeit weiß und sich bei ihrer Beurteilung über sie und den Handlungen in ihr vom Gefühl, das Richtige zu tun leiten lässt, diesem verblödeten Abziehbild von Alltagsverdummung, das Höffe seinen Lesern vorsetzt, bei Weitem vorzuziehen ist, ergibt sich aus einem einfachen Grunde: nämlich dem, dass diese Naivität wenigstens den Versuch unternimmt, Freiheit zu bestimmen und nur an den fehlenden erfahrungsgesättigten Mitteln dazu scheitert und sie dadurch naiv als positiv bestimmt. Diese Mittel sind aber nicht grundsätzlich unerreichbar. Höffes Matrize hingegen ist abgedichtet gegen die Wirklichkeit, die Mittel sind für diesen Freiheitsbegriff unerreichbar. Das verrät ihr Schablonencharakter, welcher nach dem Muster der Welt als Phantom und Matrize funktioniert, wie Günther Anders die Wirklichkeitserfahrung der Menschen aus der Dose bestimmte. Höffes Bestimmung der Freiheit ist nicht einfach intellektueller Opportunismus oder wissenschaftlicher Verrat, das ist er auch, sondern, und das ist das Bestürzende, direkt aus dem hirnlosen Geplapper der Kulturindustrie extrahiert und den Konsumenten als Reflexion eines Profis zum Fraß vorgeworden. Das wirft auch ein Schlaglicht auf die Zeitung, die dies veröffentlicht, und ihre Einschätzung über den geistigen Horizont ihrer Leser, falls so etwas je stattgefunden hat.
Das erste Problem der Freiheit soll also sein, dass man das Wählen nun nicht mehr dürfen, sondern müssen muss. Hier wird der Freiheit unterstellt, dass sie eine Wahlfreiheit sei. Es stimmt natürlich, dass das Wörtchen “Freiheit” in Wahlfreiheit vorkommt, aber deswegen ist es genauso wenig mit dieser identisch wie das Wort “Freiheitsstatue”. Woher kommt dieser Irrglaube? Ganz einfach: Aus dem Fernsehen. Wir leben in einem freiheitlichen Land mit einer demokratisch-freiheitlichen Grundordnung. Also: Freiheit = gut, Demokratie = gut. Freilich, gegenüber der Autokratie, die Demokratie nur vortäuscht, kann man hier wenigstens zwischen zwei Kandidaten wählen. Das ist dann Wahlfreiheit. Ansonsten ist hier wenig frei, was frei sein könnte. Freiheit und Demokratie, die sich im Modus des Wählens ausdrücken, sind Legitimationsformen der Macht des Staates, ähnlich wie der Kommunismus der untergegangen Sowjetunion, die am Untergang ihrer Ökonomie gelernt hat, dass sie die Legitimation der Emanzipation der Menschheit gar nicht braucht und normaler Nationalismus viel wirkungsvoller ist. Was die Freiheit unnötig begrenzt, sind die heteronomen Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie, diese zwingen jeden dazu, seinen Lebensrhythmus der entfremdeten Arbeit und der Freizeit anzupassen, wo im Konsum der entwertete Schrott der verrückt gewordenen Produktion oft ungebraucht auf demselben landet, denn darin besteht der eigentlicher Gebrauchswert der Waren immer mehr. Konsumiert wird eigentlich nur noch die Reklame. Zwischen ihren Angeboten wählen zu müssen, sei, nach Höffe, nun der Schrecken unserer Tage: “für ein Smartphone, für ein Auto, für einen Beruf, für einen Lebenspartner.” Selbst dieses Beispiel ist so schief, dass es überall knirscht, denn selbstverständlich kann man auch zwei Smartphones kaufen oder alle Typen, wenn man es sich leisten könnte. Die Grausamkeit dieser Freiheit liege nun darin, dass man sich entscheiden müsse, “ohne zu wissen, ob diese Entscheidungen zum eigenen Glück beitrage.” Da ich kein Auto habe, würde ich sagen, dass diese Aussage schon widerlegt ist. Dass die Waren allerdings versprechen, was sie nicht halten können, nämlich das Glück, ist allerdings richtig. Schuld ist daran aber nicht die Freiheit, sie zu kaufen oder der unterstellte Zwang, der keiner ist, sondern der Antrieb in ihnen das Glück zu suchen, welches die Reklame den Käufern mit jedem Kauf verspricht.
Schließlich fällt Höffe ein, dass das zweite, größere Problem der Freiheit ist, dass sie missbraucht werden kann. In diese Vorstellung fließen wieder die zwei Vorurteile aus dem Fernsehen ein: Freiheit ist ein natürliches Ding und zweitens Freiheit ist ein gutes Ding, denn wir leben ja in Freiheit und wie wir leben, das ist gut. Aber: Nur gute Sache, nur gute Dinge kann man missbrauchen. Schlechte Dinge, wie Atombomben, kann man nicht missbrauchen, es sei denn, man startet sie nicht. Aber werden sie dadurch gut? Kann sein, dann dienen sie der Abschreckung. Und die ist gut? Das würde vielleicht zu weit führen, Freiheitsphänomene sind eben irritierend. “Eine zum Missbrauch unfähige Freiheit ist nicht denkbar.” Als Kronzeugen führt er hier gerade de Sade an, der wusste, dass die bewusstlose Vergötzung der Freiheit als neue Religion ein Schmarrn war und sie durch ihre Ausbuchstabierung ad absurdum führte. Freiheit kann als Moment und Mittel gut sein und ist als solches für die Emanzipation der Menschen erstrebenswert, aber sie ist nichts ohne die Vernunft. Die in sie gelegte Hoffnung als Gut an sich, ist eine die auf Vernunft verzichten möchte und die Freiheit so zu einem Götzen nobilitiert, der sich in der modernen Welt in einen Modus verwandelt. Es kann also keinen Missbrauch der Freiheit geben, nur eine bewusstlose Handlung, die trotz der Freiheit des Handelnden nicht zu seinem Glücke führt, weil er es entweder nicht kennt oder nicht mehr dazu in der Lage ist.
Höffe führt dann als modernes Beispiel solcher “Freiheitswesen” die Digitalisierung und das Internet an, welche neue Freiheiten durch blitzschnelle Kommunikation ermöglichen und eine Demokratisierung vorantreiben, da grundsätzlich alle daran partizipieren können. Wo dann das Einerseits steht, ist das Andererseits auch nicht weit entfernt. Diese Kehrseiten sind zusätzliche Werbung, Mobbing, Datenlecks, das Verschwinden der Privatsphäre etc. pp. Ebenso wie die Freiheit bestimmt Höffe die Technik implizit als gut, die nur wieder einmal missbraucht wird. Er glaubt eben an das Gute und wird immer wieder enttäuscht. Dass das Internet eine militärische Erfindung war, um einen Kommunikationsvorsprung gegenüber dem Feind zu ermöglichen und sich als zivile Kommunikationsplattform zunehmend nicht nur in das größte Warenhaus, sondern das größte Irrenhaus verwandelt, dafür kann aber weder die Technik noch die Freiheit etwas, die Gründe liegen in den konkreten gesellschaftlichen Voraussetzungen derselben. Für Höffe sind es vor allem die großen Konzerne, die durch ihre “Tyrannis der Algorithmen”, denen wir uns unterwerfen, um an ihre kostenlosen Dienstleistungen zu kommen, die Schuldigen bei der Zerstörung der Demokratie. Höffe verwandelt die Metapher von der “Tyrannis der Algorithmen” in eine scharfes Schwert, dass die Demokratie, die unserer Vorväter, nach ihm, so heldenhaft erkämpft haben, besonders in Deutschland, in Stücke schlagen werde. Mit keinem Wort erklärt er, warum Algorithmen, die Profile von Menschen erstellen, um ihnen noch mehr Zeugs anzudrehen, die parlamentarische Demokratie in eine Tyrannis verwandeln sollten. Damit ist klar, dass hier ein Pappkamerad aufgestellt wird, der nur eine Funktion hat: Er soll den ewigen Ruf nach dem Staate legitimieren, der jedem Sozialdemokraten so leicht über die Lippen geht, wenn er irgendwo unsittliches Gewinnstreben wittert. Aber es soll nicht irgendein Staat sein, sondern ein Weltstaat, ein Megastaat mit weltweiten Dimensionen, da “unsere” Probleme mit diesen “Freiheitswesen”, die zu Umweltzerstörung, Terrorismus, organisierter Kriminalität führen können, global sind.
Der Weltstaat als monströser Leviathan ist nicht nur für Höffe die Lösung aller Probleme, sondern ist für viele gemäßigte Linke und Grüne der besser gestellten Schichten mit Gewissensbissen das Ziel der Menschheit in einer Welt, die zwar Probleme habe, ansonsten aber immer besser werde, damit letztendlich alles so tot bleibe, wie es ist, nur sauberer und gesünder. Trotz aller Erfahrungen mit dem Wesen des Staates, von Auschwitz, Hiroshima über Kolyma, soll er es richten. Denn auch er ist gut, wie es aus allen Sendestationen trötet. Als politische Hauptinstitution ist er für die kapitalistische Gesellschaft zwar unverzichtbar und verkörpert tatsächlich eine Art Restvernunft, indem er die Warenbesitzer voreinander schützt und die Armen in den Metropolen alimentiert. All dieses “Gute” soll sich nun in einem Monstrum von Staat zum Guten schlechthin kulminieren, so der Allheilsplan für die globalen Probleme der Welt, indem zugleich der Nationalismus und die Kriege zwischen Staaten getilgt wären. Das Ganze kommt natürlich einer Quadratur des Kreises gleich. Denn nur die reichsten Staaten können sich die Wohlfahrt für ihre Bürger leisten, die den Antagonismus der Gattung in ihrer Mitte befriedet, den sie zu einem großen Teil aber aus der Ausbeutung der Dritten Welt, also anderer Staaten, generiert. Das Schlimmste aber ist, dass der Preis für den Megastaat ein ungeheuerlicher wäre: Denn wer könnte garantieren, dass dieses “Freiheitswesen” seine unermessliche Freiheit, denn wer sollte sie einschränken, nicht ausnutzt? Natürlich sollen ihn die Bürger in einer Demokratie einschränken, aber was, wenn sie selber einem neuen Hitler anbeteten oder eine neue (oder die alte) Hamas wählten? Keine ausgeklügelte Verfassung oder demokratischer Modus kann alle Unwägbarkeiten voraussehen, die zum Niedergang von Freiheit und Demokratie führen könnten. Denn die Verfassung ist nicht dazu da, Hand in Hand mit dem Modus des Wählens das Freiheitsniveau auszubauen. Im Gegenteil! Vielmehr ist sie der kodifizierte zivilisatorische Wächterrat liberaler Zeiten, der durch die starke Einschränkung von demokratischen Elementen im vornherein den Zerfall der Demokratie zur Diktatur, die dem Spätkapitalismus so viel näher ist als dem historisch vergangenen Liberalismus, durch den Wahlmodus möglichst verhindern soll. Historisch ist dies aber oft genug gescheitert, denn wenn das Volk bereit ist, die Demokratie abzuschaffen, hält es keine Verfassung mehr auf. Ja, aber was dann, wenn der demokratische Supergau des einen Weltstaates nicht mehr verhindert werden kann? Keine Rote Armee und auch keine Armee der Alliierten könnten einem neuen Hitler Einhalt gebieten und keine IDF wird die Hamas vor dem Judenmord aufhalten? Der Traum der “Guten” wird das Korrektiv des moralischen Gleichgewichts und die gegenseitige Überwachung durch die Staaten als Vernunftersatz endgültig abschaffen. Die Natur des Staates, seine Freiheit könne sich dann losgelöst von den Zwängen anderer Staaten entfalten. Aber warum sollte diese gut sein? Ein Blick auf die relativ kurze Geschichte von Staaten lässt auf eine ganz anderen Charakter schließen, jedenfalls nicht auf einen uneingeschränkt guten, sondern einen einigermaßen erträglichen in demokratischen Staaten verglichen mit autokratischen und einen mörderischen, wenn seine “Freiheitswesen missbraucht” werden. Es darf niemals vergessen werden, dass das Korrektiv anderer Staaten das deutsche Wesen des Staates verhindert hat und nach 60 Mio. Toten weitere Millionen verhindert hat. Dieses Korrektiv setzt andere Staaten voraus, selbst wenn der Preis verschiedene Nationalismen sind. Wobei erstens nicht jeder Nationalismus der gleiche ist; es heißt etwas ganz anderes, auf Frankreich oder England stolz zu sein als auf Deutschland oder Österreich. Und zweitens weiß man auch nie, welche Ersatzidentifikation sich das sich in Auflösung begriffene Individuum jenseits des Nationalstaates sucht, vielleicht seinen Stamm, sein Volk, seine Mörderbande, sein Territorium? Vielmehr überlebt die demokratische Identität im Spätkapitalismus gerade durch die Abgrenzung zu den Autokratien. Sie kann sich an der Tyrannei aufrichten und sich durch die Unterscheidung von derselben als Demokratie erfahren und sich mit ihr identifizieren.
Der naive Traum von einem Weltstaat, so unwahrscheinlich dies glücklicherweise ist, würde sich als Albtraum entpuppen. Denn es ist nicht der Staat von dem eine Emanzipierung der Menschen von heteronomen Zwängen erwartet werden kann, sondern von der Aufhebung der historisch-spezifischen Gesellschaftsformation und ihrer mittlerweile verrotteten Produktionsverhältnisse. Erst wenn der Staat als partikulare Vernunft derselben Verhältnisse überflüssig wird, ist eine Erweiterung der Freiheiten der Menschen denkbar, im Gegensatz zu einem totalen Staat einer totalen Gesellschaft, der den Menschen Freiheiten heteronom, durch die Despotie der Mehrheit oder auch nicht, billigt oder verweigert.
Kommt kein Weltstaat so schnell zustande, so Höffe, dann wären das Minimum, “Rechtsverhältnisse, die nicht nur in den Einzelstaaten, sondern auch zwischen diesen herrschen.” Hier beißt sich Katze in den eigenen Schwanz, denn wer sollte diese, zur Not mit Gewalt, durchsetzen? Eine Weltrepublik kann es also nur als Weltstaat geben. Zwischenstaatliche Gesetze sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind, das wusste schon Hegel. Höffe hat dies vergessen, weil er nicht mehr weiß, was ein Staat ist, nämlich zu allererst ein Machtkonglomerat, dass nicht danach strebt Macht abzugeben, sondern sie zu vergrößern. Die Durchsetzung zwischenstaatlicher “Gesetze” wird immer wieder in Kriegen zwischen Staaten münden. Staaten sind nicht die Lösung der Probleme der Menschheit, sondern ein Teil derselben und ein Monsterstaat vielleicht ein unlösbares Problem, der, wenn er alle Waffengewalt konzentriert, tatsächlich von einigen wenigen tausend Menschen kontrolliert, die ganze Menschheit beherrschen, und wenn er ihr überdrüssig wäre, vernichten könnte. Die Juden waren die Probe aufs Exempel. Ihre Machtlosigkeit hat seine Vernichtungsmacht auf sie gelenkt. Deswegen werden sie auch nie wieder auf ihren eigenen Staat Israel verzichten.
Warum ein Weltstaat nun gerade heute vonnöten wäre, exemplifiziert Höffe nun – unbewusst oder bewusst – gerade an Deutschland. Denn Deutschland sei es, das heute so vorprescht in der Klimaschutzpolitik. Da diese Politik Geld kostet und damit handfeste finanzielle Nachteile im Konkurrenzkampf der Staaten bringt, so argumentiert Höffe, braucht es verbindliche Regeln für alle, damit Umweltpolitik eben keine Nachteile bringt und verbindlich werden kann. Implizit heißt das, der Weltstaat muss einer nach deutschem Vorbilde sein, die Verwüstung der Welt als Prinzip ökonomischer Gesetze kann nur durch eine zentrale Herrschaft in die Knie gezwungen werden, um den Lebensraum der Völker zu erhalten. Vernunft kommt hier schon gar nicht mehr vor, Heteronomie soll durch gigantische Machtanhäufung bekämpft werden. Das Land, dass das Wesen des Staates so eindrücklich demonstriert hatte, soll das Vorbild der Weltrepublik werden. Höffe will dabei dem vorbeugen, was er so fürchtet, den Missbrauch von Freiheit, indem er auf freiheitliche Institutionen pocht, die weltweit zu installieren wären. Hier vergisst er aber sogar seine eigene Feststellung: Freiheitswesen sind wesenhaft zum Missbrauch fähig. Und wenn das passiert, wird die ganze Welt deutsch. Die Beteuerung des Welt-Föderalismus, der den Völkerzoo an Stelle des Nationalstaates präferiert, und die Betonung der Sparsamkeit bei der globalen Gesetzgebung können dann nur noch eines bedeuten, nämlich, dass das Führerprinzip jene eh kassieren wird. Und diesmal wird es obsiegen, weil es global ist.
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