Die Philosophen zerbrechen sich seit 2000 Jahren den Kopf, was das gute Leben sei. Die (deutschen) Soziologen präsentieren ihrem Publikum seit ca. 100 Jahren mit jeder neuen Monographie wissenschaftlich und empirisch abgesichert neue Versionen des eigentlichen Lebenssinnes (Arbeit, Freizeit, Erlebnis, Selbsterhaltung etc.), die mit immer neuen Theorien unterlegt sind und den Publikationen ihrer Konkurrenten jeweils widersprechen. Sind alle Versionen abgegrast, geht das Spiel mit dem Wiederentdecken der Klassiker von vorne los. Nicht anders läuft es bei den ganzen bunten Magazinen und Internetblogs, hier findet man die ganze Palette von Ratgebern, die ebenfalls den Sinn des Lebens für die Bedürftigen stiften möchten und von Karriere, Urlaub, Fallschirmspringen, Elternglück und Bausparvertrag schwadronieren, und dabei auch nichts anderes tun als die ehrenwerte Wissenschaft. Den Schlüssel zur Frage aller Fragen haben aber ausgerechnet die allabendlichen TV-Serien neuen Typs gefunden. In Serien wie The Walking Dead wird nicht Sinn gestiftet, sondern es werden die geheimen Wünsche und die allgemeine gesellschaftliche Tendenz, die gegeneinander kongruieren, aufgespürt und inszeniert. Der Erfolg dieser Serien beweist damit, dass die Kulturindustrie einfach schneller und schlauer ist als alle Sozialwissenschaftler, Meinungsforscher und Feuilletons zusammen.
Es gibt einen bestimmten Typ von TV-Serie, der immer nach demselben Schema abläuft: Durch irgendein abstruses Ereignis (Zombie-Apokalypse; die Eisenzeit kommt zurück durch die atomare Verstrahlung der Welt; ein Dorf bekommt ein undurchdringbaren Schutzschirm übergestülpt; Außerirdische versklaven die Welt, dauerhafte Stromausfälle etc.) ist der Staat und die Gesellschaft, wie wir sie kennen, zusammengebrochen. Dabei ist auch dem dümmsten Zuschauer sofort klar, dass alles nur inszeniert ist. Das jeweilige Katastrophenszenario ist nur ein szenischer Vorwand, das den wahren Menschen, all seiner Institutionen und gesellschaftlichen Zusammenhänge entkleidet, so zeigen soll, wie er ist. Da diese Idee natürlich genauso dumm wie eine Zombie-Apokalypse unterhaltsam ist, wird den Menschen stattdessen ihr eigener Wunsch, ihre eigene Vorstellung visualisiert und als Story verpackt: die Befreiung von der repressiven Gesellschaft und damit ihrer eigenen Ohnmacht und die Lust am Überlebensmodus in der Gemeinschaft, der schon mit der Outdoorjacke im Discounter vorgefühlt wird. Diese Lust scheint als existentieller Thrill im Kampf aller gegen aller, der sich in der Arbeitsteilung des Krieges zum Bandenkrieg verdichtet, der die Welt neu aufteilt, das letzte Reservat, das Leben, das nicht lebt, zum Leben zu erwecken, und zwar als Unterhaltung, die das Leben als Überlebenskampf wiederbelebt und das Tote – ganz wie der Titel der Serie – aufrichtet und ziellos umher laufen lässt, bzw. die Vorbedingung des Lebens als dasselbe ausgibt: Überleben. Das macht Serien wie The Walking Dead, The 100, The Dome etc. selbst zu Zombies, da sie das Leben als leblose Schale des Überlebens inszenieren, das sich seiner Existenz lediglich durch das Adrenalin versichert, dass in jeder Überlebensschlacht Körper und Geist kurz mit elektrischen Impulsen versorgt.
So wandelt das Leben in seiner ausgelutschten Form des Überlebens tagtäglich über die Mattscheibe und inszeniert den Alltag auf einer Stufe, in der die hoch arbeitsteilige Gesellschaft von heute noch nicht alle in ihren Zentren durchfüttert, aber die Welt auch noch kein Gefängnis war, sondern eher eine Wildbahn sadistischer Mordbanden, die ums Überleben konkurrieren. Die filmische Realität wird also so inszeniert, wie sich der Bürger die Vergangenheit ohne den Staat vorstellt. Genau diese Formel ist das Erfolgsrezept dieser Serien, das die Produzenten mit endlos aneinandergereihten Staffeln genüsslich ausschlachten. Den einzelnen Folgen merkt man dabei durchaus die verständliche Einfallslosigkeit in der ständigen Variierung und Fortschreibung ein und desselben Themas an. Da diese Serien aber wie eine Vorbereitung auf den beginnenden Überlebenskampf auf den Zuschauer wirken, den zu verpassen, den eigenen Untergang in der neuen Welt der mordenden Banden bedeuten könnte, kann der Reiz zum Dauerreiz ausgebaut werden, der die Zuschauer bei der Stange hält. Im Überlebenskampf allerdings vermuten nicht nur die Anhänger solcher Serien das wahre Leben, sondern die ganze nachbürgerliche Welt sehnt sich nach diesem Naturzustand, der die gewaltsame Neuverteilung der Welt, diesmal vielleicht zu ihren Gunsten, verspricht. Dieser Naturzustand in seiner gewalttätigen Form, der in der bürgerlichen Welt nie aufgehoben nur abgemildert war, dessen Aufhebung zumindest aber in der liberalen Ideologie der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einst antizipiert, aber nie verwirklicht wurde – so viel haben die Macher der Serie und die Zuschauer kapiert – ist kein bloßes Hirngespinst mehr. Das erklärt den Erfolg der Serie. Sie vereint den Wunschtraum der Neuverteilung der Welt für die zu kurz Gekommenen mit der Aussicht des realistischen Szenarios des Untergangs der nachbürgerlichen Restzivilisation, wie sie sich in der Durchdringung der Gesellschaft durch bandenförmige Organisationen von Monopolunternehmen und Politikerkasten bereits heute ankündigt.
Zugleich stellen diese Serien den Überlebenskampf der Gruppen gegeneinander dermaßen brutal und aussichtlos, die menschliche Seele als abgrundtief böse dar, dass es dem Zuschauer zu Hause in seinem Sessel langsam dämmert, doch in der besten aller Welten zu leben, auch wenn er morgen früh wieder in die Fabrik oder ins Büro muss und seinem Chef, der alles repräsentiert, was er hasst, nicht mit einem Samurai-Schwert einen Kopf kürzer machen kann. Deswegen haben diese Serien zugleich einen aufklärerischen Wert, der an den Hobbesschen Schluss der Geschichte erinnert: sind sich die Menschen im Naturzustand spinnefeind, also sich gegenseitig der sie zerreißende Wolf, kann es nur ein Alphatierchen geben, nämlich den Staat, der verhindert, dass sich alle gegenseitig zerreißen. Ein Drittes gibt es nicht, Naturzustand oder die ganze gesellschaftliche Apparatur, die im Staate kulminiert. Das zeigen diese Serien implizit auf und können, trotz oder wegen der Angstlust am Ausnahmezustand, daher auch als Staats- und Gesellschaftsapologien gelesen werden. Das weder der Hobbessche Widerspruch, Behemoth oder Leviathan, noch Hobbes einseitige Lösung desselben veraltet sind, sondern die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Sympathien bis heute zwischen ihnen schwankt, da sie ihre Utopie nie verwirklichen konnte, beweisen Serien wie The Walking Dead in sadistischer Unterhaltsamkeit.
Im Kapitel über die Kulturindustrie in der Dialektik der Aufklärung schreiben Horkheimer und Adorno, dass die Storys in Filmen, Büchern etc. immer nach dem Schema “getting into trouble and out again” ablaufen, damit sich das Individuum mit der Macht identifiziert, der es sich zu unterwerfen hat. Der Held versöhnt sich mit seiner Umwelt, nachdem es so einige Probleme zu lösen gab, die aber keine strukturellen, sondern natürlich seine ganz persönlichen waren. Typisch waren dafür Figuren wie in Die Hard etc. pp.; z. B.: ein auf den Hund gekommener Polizist wird durch eine Schicksalsschlag zu jemandem, der mit dem Leben abgeschlossen hat. Dann bekommt er eine Aufgabe, die er mit dem Mute der Verzweiflung löst. Danach wird er als Held gefeiert, mit dem sich der Zuschauer identifiziert, und er wird wieder als vollwertiges und funktionierenden Mitglied der Gesellschaft aufgenommen und die Frauen fliegen auf ihn. In Serien wie The Walking Dead dreht die Kulturindustrie dieses ewige Rad ein paar Umdrehungen weiter. Die Realität kommt in den Serien als solche vor, wie es sie einmal gab und wie sie im Begriff ist, wieder zu werden: die Welt befindet sich im Bandenkrieg. Ebenso funktionieren auch die “historischen” Serien wie Rome, Vikings, Marco Polo, The Last Kingdom etc., nur das man hier auf die abstruse Inszenierung von Zombies und Aliens, die die herrschende Ordnung zerstören, verzichten kann, weil die bürgerliche Gesellschaft eben noch nicht existierte, sondern lediglich sich bekriegende Banden bzw. Gemeinwesen, die sich durch die erzwungene Arbeitsteilung des Krieges zusammenrotten und hierarchisch organisieren, sprich Könige und Fürsten an ihrer Spitze haben. Trotzdem sind auch diese Serien aktuell, weil sie einen Einblick in die Wünsche der Zuschauer offenbaren und die Tendenzen der heutigen Gesellschaft aufzeigen.
Aber zurück zur Realität dieser Serien: sie zeigen sie, wie sie sich heimlich der Zuschauer wünscht, sie ist damit eigentlich irreal, aber die Realität des Hier und Jetzt ist nicht komplett das Gegenteil der Serienrealität, sondern ihre zivilisierte Form. Der Zuschauer wünscht sich also nicht die Aufhebung der Gesellschaft auf dem jetzigen Stand der Produktivkräfte, wie sie eine Fortschreibung der geistigen Tierwelt ist, des Fressen und Gefressenwerdens, sondern ein Zurückdrehen der verfestigten gesellschaftlichen Zustände, des Besitzes und des Rechts, um wieder bei null anzufangen. Er wünscht sozusagen Chancengleichheit, wie sie die Gesellschaft selbst propagiert, von der aber zugleich ein jeder weiß, dass sie ein Märchen ist, und dass sie unter den Reichen und Mächtigen bereits verteilt ist; und nur wer sich dieser gesellschaftlichen Macht mit Haut und Haaren, mit Verstand und Lebenszeit, unterwirft, bekommt seine Krumen zugeteilt und seine Position zugewiesen. Er wünscht sich also eine Arena des Kampfes, in der alle mit den gleichen Waffen kämpfen und er imaginiert sich als den Helden, der in allen Filmen und Serien vorkommt, der die anderen mit Leichtigkeit schlägt und beherrscht, wenn nur die Chancen für alle die gleichen sind. Der Widerspruch, dass, wenn er der übermächtige Held ist, die Chancen kaum die gleichen sein können, muss dabei ausgeblendet werden. Es zählt das Recht des Stärkeren, das nun aber mit dem Schwert oder der Maschinenpistole, nicht mit der Brieftasche ausgetragen wird. Dadurch reproduziert er bewusstlos das Immergleiche, denn die Welt ist bereits so beschaffen, wie er sie sich erträumt und Serien wie The Walking Dead bestätigen ihm dies, indem sie dieselbe verdoppeln, aber die Zeit zurückdrehen in einen Anfangszustand, in der die Welt noch nicht aufgeteilt war. Das mörderische Spiel soll einfach von vorne losgehen. Und zwar in einer Welt, in der des Zuschauers Zwänge aufgehoben sind, in der er frei agieren kann. Durch die Identifikation mit dem Helden werden seine Omnipotenzphantasien Wirklichkeit. Auch wenn die Helden dieser “realistischen” Serien hier keine Superhelden à la Superman etc. mehr sind, sind sie doch so unglaublich stark und listig, dass kaum von einer realistischen Darstellung von Kämpfen im allgegenwärtigen Überlebenskampf und seines teilweisen inhärenten Zufalls des Überlebens die Rede sein kann. Die sogenannte Freiheit und Gleichheit des neuen Anfangs der menschlichen Geschichte ist also nichts anderes als die Omnipotenzphantasie der in der Gesellschaft zu kurz Gekommenen, und das sind so gut wie alle. Sie alle wollen sie nicht endlich verwirklichen, sondern sie zerstören und Chef der neuen Gemeinschaft werden, wie der Held in der Serie. An der Serie The Walking Dead soll exemplarisch und kursorisch das Schema dieser Serien aufgezeigt werden.
Nachdem für die Produzenten wohl eher überraschenden Erfolg der Serie auf dem übergroßen Markt der Zombiefilme und -serien, reiht sich eine Staffel an die nächste, ohne dass etwas wirklich Neues als in der ersten geschieht. Die Story ist schnell erzählt: Eine Truppe mit ihrem Leader Rick Grimes befindet sich im Dauermodus des Überlebenskampfes in einer Zombiewelt; ein paar Mitglieder gehen drauf, ein paar neue kommen hinzu, und so geht das nun so seit sechs Staffeln. Allein dieser Überlebensmodus in einer Gemeinschaft scheint allein den Dauerreiz der Zuschauer aufrecht zu erhalten. Der wahre Feind sind nicht die Zombies, die sind ziemlich doof und nur in Massen und im Dunkeln gefährlich. Der wahre Feind sind – nichts Neues soweit – die anderen Menschen und Banden da draußen. Zugespitzt wird das Gemetzel zwischen ihnen durch die Nahrungsknappheit und die durch Zombies gefährliche Umwelt. Und da man nun mal im Verbund stärker ist – und Stärke verlangt der Überlebenskampf nicht nur in der friedlichen Version der Naturbeherrschung durch Arbeitsteilung in der Gemeinschaft, sondern auch in der des Krieges durch Arbeitsteilung im Verbund – schließt man sich zu einer Gruppe zusammen, deren Leader wiederum der Stärkste, Rick Grimes, ist. Denn die einfachste Form der Arbeitsteilung des Krieges ist, die Anzahl der Mitglieder zu erhöhen – zwei sind stärker als einer. Um eine starke Bande zu bilden, braucht man also einen gerissenen Leader, viele trainierte Mitglieder, Skrupellosigkeit und möglichst bessere Waffen als andere. Das ist ganz genauso wie in der Arbeitsteilung der Moralischen Ökonomie – Kapitalist, Proletariat, Lohndumping, möglichst die besten Produktionsmittel. Die Soziologen sprechen bei solchen Gruppen wie um Rick Grimes gern von Primärgruppen, auch wenn sie oft den Krieg derselben als Aneignung von Produktions- und Lebensmitteln unterschlagen. Das können sie dann bei The Walking Dead lernen.
Die Serie gibt, wie in einem Gruppenexperiment, oft Einblicke in das Seelenleben und die sozialen Beziehungen der Darsteller; so schwankt die Gruppe um Grimes dazwischen, die letzten zivilisatorischen Standards aufrechtzuerhalten, um nicht eine Verbrecherbande wie alle anderen zu werden, und dem Wegfallen der letzten Skrupel als Vorteil im Überlebenskampf der bewaffneten Banden. Sie will die Gruppe um Grimes und die Zuschauer in diesen Gewissenkonflikt drängen, alles aufs Überleben einzustellen oder dem Überleben noch einen letzten Sinn zu geben, der über das reine Existieren hinausgeht, aber den Überlebenskampf dadurch schwächt. Dass dieser Sinn nicht etwa in einem reichhaltigen und geist- und lustvollem, unbestimmten, sprich im freien Leben liegt, sondern in der gemeinschaftlichen Nähe von Familie und anderen Gruppenmitgliedern (Primärgruppe), die sich autark ihre Subsistenz in einer burgähnlichen Anlage sichert, versteht sich fast von selbst für die Zuschauer und macht The Walking Dead zur Avantgarde neuerer Serien, die die gesellschaftliche Situation des Spätkapitalismus und seiner (faschistischen) Zukunft (und Vergangenheit) zugespitzt antizipieren. Hier konvergiert die geschichtslose Primärgruppe der Soziologie mit den Alltagsmeinung über das Wesen des Menschen. Serien wie Falling Skies sind z. B. längst noch nicht soweit, sie repräsentieren die alte Methode der Kulturindustrie. Hier ist die Menschheit geeint gegen einen äußeren Feind und alle Serienhelden, nicht die Outlaws (Pope etc.), wollen nur eines, wie Anne Glass in der letzten Staffel preisgibt: “I want my normal life back!”, und das schaffen sie auch und sind letztendlich mit der Gesellschaft versöhnt. Bei The Walking Dead ist diese Hoffnung schon längst durch die Sehnsucht nach dem geschlossenen Handelsstaat (Fichte) ersetzt, den Alexandria, die militärisch gesicherte Polis oder die Gated Community, symbolisiert.
Wer die heutige Sicherheit, die der Staat den Bürgern gegen Feinde im Inneren und Äußeren garantiert, sucht, wird sie in The Walking Dead finden, wenn er nach dem Schauen einer Serie erleichtert aufatmet und froh ist, noch nicht in der Outlaw-Welt der Zombie-Apokalypse zu leben. Für solche Restvernunft unter der Fuchtel des Realitätsprinzips bietet The Walking Dead das übliche Thema der Kulturindustrie, aber in der 2.0-Version: die Welt wird verdoppelt und damit den Konsumenten als alternativlos eingebläut; das Neue ist, dass diese Welt eine ungleich brutalere ist, Konkurrenz ist tödlich. Die Moral der Geschichte ist dabei, sich den jetzigen friedlichen Zustand der Konkurrenz zu wünschen und ihn damit behalten zu wollen. In diesem Sinne ist The Walking Dead dem ewigen Thema der Kulturindustrie treu geblieben und lediglich eine moderne Form des praying-to-the-saints. Aber was wäre die Postmoderne ohne ihre Ambivalenz. Denn: Wer sich bereits ärgert, nicht in der The-Walking-Dead-Welt mitmachen zu können und sein langweiliges 9-to-5-Leben gegen jene sofort tauschen würde, um alle Konkurrenten kurzerhand einen Kopf kürzer machen zu können, dem bietet sie ebenfalls eine Projektionsfläche seiner Wünsche. So hat The Walking Dead für alle etwas zu bieten: Für die Ängstlichen, die Gewissheit, dass es noch nicht soweit gekommen ist, und dass sie im Tausch mit der Freiheit zumindest einem Staat Untertan sind, der sie schützt; ebenso wie für die Möchtegern-Outlaws mit Heldenstatus. Im Widerspruch der beiden Alternativen – alles bleibt für die Menschen so fürchterlich, wie es ist, aber wenigstens ist man sicher und dem Wunsch, die bestehende Gesellschaft zu zertrümmern und im tödlichen Kampf neu zu entscheiden, wer gewinnt – erschöpft sich die ganze Vorstellungswelt der gleichen Wirklichkeit des (Nach-)Bürgertums. Tertium non datur.
Dieser Widerspruch zweier Alternativen, und das soll hier der Clou sein, ist so alt wie die bürgerliche Gesellschaft überhaupt und somit als Dauerthema der Kulturindustrie geradezu prädestiniert. Er hebt sich in der typisch bürgerlichen Vorstellung auf, dass historische Produkt der eigenen Gesellschaft “als den naturwüchsigen, von der Natur der Individualität unzertrennlichen und ihr immanenten, aufzufassen.” (Marx, Grundrisse, S. 79) Dabei ist die bürgerliche Gesellschaft ihr historisches Produkt und die Entfremdung von diesem Produkt, dass sie spüren, die historisch bornierte Phase, die überwunden werden müsste, um nicht völlig sinnlos zu sein. Dieser historisch gesellschaftliche Zusammenhang “gehört einer bestimmten Phase ihrer [der Natur der Individualität] Entwicklung an. Die Fremdartigkeit und die Selbständigkeit, worin er noch gegen sie existiert, beweist nur, daß sie noch in der Schöpfung der Bedingungen ihres sozialen Lebens begriffen sind, statt von diesen Bedingungen aus es begonnen zu haben. Es ist der Zusammenhang, der naturwüchsige, von Individuen innerhalb bestimmter, bornierter Produktionsverhältnisse.” (Ebd.) Die Menschen nehmen also den gesellschaftlichen Zustand zurecht als entfremdeten wahr, der ihnen nicht zukommen lässt, was er ihr verspricht: allgemeine Freiheit, Gleichheit, allgemeiner Reichtum. Sie fassen ihn aber als gegebenen (Natur-)Zustand auf, der ihnen entspricht wie dem Wolf sein Jagdrevier, sie vergessen, dass er geschichtlich durch Menschen geworden ist und seinen Sinn nur in der Verwirklichung seiner Utopie erhält. Verselbständigt sich dieser gesellschaftliche Zustand und wird durch seine immanente Entwicklung anfällig für die bandenförmige Okkupierung seiner hohl geworden Fassade, verliert er den Sinn seiner Entfremdung. Jeder muss wohl oder übel unterkommen, und zwar als Mitglied einer der Banden, die sich entweder ein Stück vom Kuchen “legal” sichern oder gewaltsam “illegal” anderen eines entreißen. Der Bande als Gemeinschaft, die die Gesellschaft liquidiert, wenn sie in ihrer historisch spezifischen Form verfault, wird unhintergehbare Form der Vergemeinschaftung. Die Menschheit fällt in ein früheres Stadium der Entwicklung zurück, allerdings mit den Waffen der Gegenwart.
Noch einmal Marx: “Auf frühren Stufen der Entwicklung erscheint das einzelne Individuum voller, weil es eben die Fülle seiner Beziehungen noch nicht herausgearbeitet und als von ihm unabhängige gesellschaftliche Mächte und Verhältnisse sich gegenübergestellt hat. So lächerlich es ist sich nach jener ursprünglichen Fülle zurückzusehnen, so lächerlich ist der Glaube bei jener vollen Entleerung stehnbleiben zu müssen. Über den Gegensatz gegen jene romantische Ansicht ist die bürgerliche nie herausgekommen und darum wird jene als berechtigter Gegensatz sie bis an ihr seliges Ende begleiten.” (Ebd.) Diese Lächerlichkeit aber ist genau das Thema und der heimliche Wunsch der Produzenten und Zuschauer, welche in The Walking Dead mit jeder Staffel immer wieder neu aufgekocht wird. Und da andauernde Wiederholung nicht gerade ein Erfolgsrezept in der Unterhaltung, sondern vielmehr die rasante und komplizierte Darstellung, die hohe Aufmerksamkeit und Konzentration braucht, ist der Beweis erbracht, dass das Erfolgsrezept sowohl auf der Angst vor dem Zerfall der Restzivilisation wie auch auf der Lust derselben beruhen muss, Angstlust eben. Und da sich die Menschen, um noch einmal Marx zu zitieren, nur Aufgaben stellen, die sie selbst lösen können, wird in der Serie vorgefühlt, welche das sein könnten. Und das können für die heutige Generation entweder die Affirmation der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse oder das Zerschlagen derselben und somit der Rückfall in die Barbarei sein. Am Ende läuft beides auf dasselbe hinaus. Dass der ganze Horror der Geschichte der menschlichen Gesellschaft komplett sinnlos war, dieser Gedanke, der bei Marx schon zwischen den Zeilen zu lesen war und den die Kritische Theorie auszusprechen wagte, diese Konsequenz kann man sich heute bereits auf der Couch zu Hause gruselnd reinziehen und vergessen, dass man mittendrin ist, statt nur dabei, im Horror des Zerfalls der menschlichen Gesellschaft. Dass es “so weiter” geht, ist die Katastrophe im Gegebenen (Benjamin), wo sie hinführt, das ist der Horror des Bevorstehenden.
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