Ehud Barak und Yassir Arafat zu Besuch bei den Clintons im Sommer 2000 (Quelle: Wikipedia)

Die jüngste Auseinandersetzung im Mai 2021 zwischen Israel und den palästinensischen Arabern hat es mal wieder bewiesen: Wenn man einen Krieg braucht, bekommt man ihn auch. Nach 15 Jahren ohne Wahlen in Gaza und der Westbank, wird man, nach diesem Kurzkrieg, auch die nächsten 15 Jahre ohne sie auskommen. Denn schon jetzt denkt niemand mehr an die zuvor angekündigten Wahlen, dem außenpolitischen Legitimationsprojekt der herrschenden Rackets, welches sie sich vom Westen abgeguckt haben. Viel mehr Eindruck auf ihre „Wähler“ macht die Hamas gegenüber der PLO/Fatah ohnehin als kraftvoller Verteidiger des Islams und der Ansprüche auf einen palästinensischen Staat; die paar Hundert Toten des Kurzkonflikts sind schnell beerdigt und vergessen, lassen aber noch eine Zweitverwertung als Propagandafutter von Al-Jazeera zu, dem Sprachrohr der Unterdrückten von der auf Hochglanz polierten steinreichen Sklavenhalbinsel Katar. Die zerstörte Infrastruktur in Gaza für den Guerillakrieg gegen Israel ist schnell geflickt, die Unterstützung aus Europa, der arabischen Halbinsel und vor allem der UN macht es möglich. Zuvor aber hatte der altersschwache Abbas noch in paar Teenager in den Tod geschickt, um seine Macht in der Westbank nicht durch eine Wahl zu gefährden. Die Hamas hatte daraufhin sofort angefangen, Israel mit Raketen zu beschießen, um zu beweisen, dass sie die einzig rechtmäßigen Verteidiger der palästinensischen Sache sind, und wenn Abbas sterben sollte, wäre die PLO/Fatah endgültig erledigt. Ohne die Legitimation, die Widerstandsbewegung gegen Israel darzustellen, kann man die Berechtigung für das Abschöpfen der UN-Gelder vergessen. Keine credibility, kein Geld; ohne Geld kein bewaffnetes Racket, um die Westbank zu beherrschen. Die Hamas hat jetzt das Sagen; allein die Umstände, dass ihre Führung nicht in die Westbank kommt, und dass Abbas zäh durchhält, verhindern eine blutige Machtübernahme wie damals in Gaza, als Fatah-Kämpfer aus den Hochhäusern auf die Straße geworfen wurden.

Auf der anderen Seite hatte Netanjahu, eine politische Figur, gegen die die Underwoods in House Of Cards wie Amateure anmuten, nach dem willkommenen Kleinkrieg mit der Hamas, wieder Oberwasser bei der Regierungsbildung in Israel. Die Immunität qua politisches Amt gegen die vielen Korruptionsvorwürfe war wieder in Reichweite. Denn die Bemühungen der Opposition in Israel eine Regierung aus den dutzenden Kleinparteien ohne ihn zusammenzuschustern, schienen sich nach dem Kleinkrieg gegen die Hamas zerschlagen zu haben. Eine arabische Partei in einer israelischen Regierungskoalition, zuvor die entscheidende Option Netanjahu abzusägen, schien nach dem Raketenbeschuss bei dem einige Verluste der Zivilbevölkerung hingenommen werden mussten, untragbar. Das Gute ist, die israelische Regierung und die Hamas müssen sich gar nicht absprechen, wie manche Verschwörungstheoretiker vermuten, man braucht sich einfach gegenseitig. Wann ein Krieg zum gegenseitigen Vorteil angezettelt werden muss, ergibt sich ganz logisch aus dem Zeitpunkt, an dem die Interessen konvergieren, und das kommt öfter vor als man denkt. Dann feuert die Hamas - als mutige Verteidiger der palästinensischen Sache müssen sie mit dem Gefecht beginnen - die ersten selbstgebastelten Raketen auf israelische Wohngebiete ab, und danach ist Israel dran, als Staat muss er schließlich die eigene Bevölkerung vor den Anschlägen einer Terrorgruppe verteidigen und rächen. Dieses Katz- und Mausspiel ist durchaus gewollt, weil sich dadurch immer wieder neue politische Optionen ergeben, schließlich lebt diese Hamas-Truppe in Gaza nur von Israels Gnaden. Fast vollständig von israelischem Territorium umschlossen wäre sie ein leichtes Ziel für die israelische Militärmaschine.

Will man politisches Profil gewinnen, sollte man sich im Nahostkonflikt engagieren

Wie die Sache im Kleinen aussieht, bietet sie auf der Weltbühne auch allerhand Stoff für die Großen und anderen Kleinen dieser Erde, bspw.: der letzten Supermacht, den Möchtegern-Supermächten, der demokratischen Wertegemeinschaft des Westen, den rechtsschaffenden Muslimen, dem kommunistisch-turbokapitalistischen Reich der Mitte, den nicht mehr zählbaren NGOs, den Regionalmächten mit Ambitionen, mafiaähnlichen Banden wie der Hisbollah im Libanon, lächerlichen Diktatoren wie Erdogan und Assad, märchenhaftreichen Monarchen der OPEC-Länder, Endzeitsekten mit Regierungsverantwortung wie im Iran, Militärdiktaturen in Nordafrika, Geheimdienststaaten mit Trollarmeen und grünen Männchen, geführt von gelifteten Oligarchen, politischen Aktivisten mit großem Sendungsbewusstsein und nicht zuletzt jeder Menge Stoff für Nachrichten, soziale Netzwerke, Antisemitismusforscher, Thinktanks und Whistleblowern.

Sieger und Verlierer – mit der UN gewinnen alle

Der Nahostkonflikt, im Grunde eine längst entschiedene Stammesfehde, in der der Sieger den ersehnten Staat bekommen hat, der Verlierer nicht - zumindest nicht zu seinen Konditionen, die aber auch nicht die eines Verlierers waren - mit im Weltmaßstab eher geringem Umfang an kriegerischen Handlungen und Toten, ist zum absurden politischen Bühnenstück geworden, in dem sich die Akteure mit moralischem Getöse und politischen Engagement zu übertreffen versuchen. Der große Preis, den es zu gewinnen gibt, ist der des politischen Helden, der mit diplomatischem Geschick den palästinensisch-israelischen Konflikt ein für allemal zum beiderseitigen Vorteil löst, eine Aufgabe, an der sich bis jetzt jeder amerikanische Präsident die Zähne ausbiss. Da aber ein Konflikt, der längst entschieden ist, und nur durch den vom Verlierer oder seinem Status als David instrumentalisierten Vereinten Nationen bis in alle Ewigkeiten verlängert wird, nicht zum beiderseitigen Vorteil gelöst werden kann, hat sich die Funktion des Nahostkonflikts nachhaltig geändert. Er ist von einem lokalen Phänomen zu einem von der UN moderierten und gesteuerten weltweiten politischen Bühnenstück geworden, in dem die Helden anscheinend durch gegenseitige Überbietung moralischer Integrität und politischem Engagement gekürt werden. Der Nahostkonflikt ist zur Identifikationsmaschine der politischen Öffentlichkeit geworden, hier zeigen die Mächtigen ihren Untertanen, wer sie sind, nämlich die Guten, um den Mob mit ihren Interessen zu versöhnen, denn zusammen sind wir stark, gut und verantwortungsvoll, auf der anderen Seite zeigen die Schwachen, dass sie schwach sind, weil sie gut sind.

Die UN hat dafür einige Instrumente geschaffen bzw. umfunktioniert, bspw. seinen Menschenrechtsrat. Durch den israelisch-palästinensischen Konflikt hat der Menschenrechtsrat der UN seine eigentliche Daseinsberechtigung entdeckt, nämlich Israel durch einen Allzeit-Rekord an Verurteilungen als Superschurken im Nahostkonflikt zu identifizieren. Logisch ist das eigentlich nicht, denn Israel wird von den Verurteilenden gar nicht als Staat anerkannt, zumindest nicht gegenüber der arabischen Straße, der sie Israel als künstliches Konstrukt eines Unrechtsstaates präsentieren und zum Symbol des westlichen Imperialismus auserkoren haben, auf der sich ihr Hass konzentrieren soll und nicht auf die Herrscherschicht.  Andererseits braucht man doch Israel als Staat, und all die Schurkenstaaten erkennen Israel im UN-Menschenrechtsrar implizit an, wenn sie ihn verurteilen können, es also ihren Zwecken dient. Und es dient ihren Zwecken, weil sich damit die Rackets mit Regierungsverantwortung in solchen Ländern wie China, Libyen, Bahrain, Russland, Kuba, Sudan etc. -  alles Länder mit einer langen Liste an Verbrechen gegen die Menschlichkeit - im Menschrechtsrat gegenseitig ihren moralische Superiorität bestätigen können, an die sie, durch die gegenseitigen Bestätigungen, mittlerweile selber anfangen zu glauben. Ist Israel fast immer Gegenstand irgendwelcher Sondersitzungen und Verurteilungen können sie es schließlich nicht selber sein, so wird die Realität erschaffen, mit der sie leben können. Und durch die Verurteilungen des Menschenrechtsrats wird gleichzeitig bewiesen, dass Israel an allen Verbrechen Schuld ist, für die sie verurteilt werden. Die kommunikative Theorie hätte ihre wahre Freude an der Demonstration ihrer Tauglichkeit in der Realität. Insgeheim lacht man sich so in Fäustchen und hat ein weiteres Instrument zur Legitimation der eigenen Macht in der Hand, und dass alles dank des Nahostkonflikts. So jagt beflissentlich eine Verurteilung die nächste, es gibt viel zu tun, denn das Böse schläft nie, seit 2015 waren es 112 Verurteilungen für Israel, gefolgt von Russland mit 12 und Syrien mit 8 sowie der USA mit 7 Verurteilungen. Venezuela, Katar, Kuba, Libyen, Türkei, China und noch viele andere haben eine weiße Weste: 0 Verurteilungen. Dem Menschrechtsrat zufolge werden Frauenrechte auch nur in Israel missachtet, wer hätte das gedacht? Was wäre man ohne die Aufklärung durch den Menschenrechtsrat der UNO, immerhin gab es schon 4 Verurteilungen für Israel, alle anderen Länder, besonders die muslimischen, scheinen Frauenrechte penibel einzuhalten.  (Alle Daten: https://unwatch.org/database/) 

Die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) wurde 1948 gegründet, direkt nachdem die arabischen Staaten den neu gegründeten Staat Israel angegriffen hatten und ist ausschließlich für arabische Flüchtlinge zuständig. Keine andere Organisation wird so offensichtlich in ihrer Ausrichtung zur Aufrechterhaltung des Nahostkonflikts betrieben. In über 50 Camps an der Levante wird den mittlerweile Enkeln und Urenkel von Flüchtlingen unter miserablen Bedingungen eingehämmert, dass sie Flüchtlinge bleiben müssen, bis der israelische Staat wieder verschwunden ist oder er für seine Sicherheit integrale Teile für einen palästinensischen Staat abgegeben hat, was auf dasselbe hinausläuft. Die indoktrinierte Masse ist das Faustpfand für ein hochbeschäftigtes Engagement der UNO, von dem alle was haben. Die Israelis müssen keinen unterlegenen Gegner in Massen töten, der Westen kann sich als mildtätiger Mittler aufspielen, der seine Werte nicht nur mit Raketen verteidigen, sondern auch Almosen unter die Leute bringen kann, die arabischen Nachbarländer sind erleichtert, dass sie ein inzwischen vervielfachtes Heer an unterqualifizierten Flüchtlingen nicht in ihren maroden Arbeitsmarkt integrieren müssen, die dann zur Gefahr eines Umsturzes werden könnten. Dafür stehen sie aber zugleich ihren Brüdern rhetorisch bei, ohne etwas für sie opfern zu müssen.

In der Realität allerdings gibt es nur Verlierer auf der lokalen Ebene durch die Verewigung des Konflikts durch die UN. Nicht nur, dass die aus Palästina vertriebenen Araber ihr Schicksal als ewige Flüchtlinge, die im Libanon, Syrien und Jemen als Araber zweiter Klasse in irgendwelchen Lagern leben, mittlerweile schon an die dritte Generation vererbt haben und mit der vagen Hoffnung der Lösung des Konflikts hingehalten bzw. als Drohmasse gegenüber Israel instrumentalisiert werden. Sondern auch die Sieger können ihren Sieg kaum genießen. Für die Israelis ist keine Ruhe in Sicht, denn wenn der Konflikt kein Ende nimmt, wird auch der Sieg unsicher, denn unter dem Schutzschirm der UN haben sich die Rackets, die Israel auslöschen wollen, und diesen Anspruch zur Legitimation für ihrer Herrschaft nutzen, prächtig entwickelt. Außer der PLO/Fatah, Hamas und Islamischer Jihad hat sich mit der Hisbollah ein militärisch durchaus gefährlicher Gegner nördlich der Grenze etabliert, der vom Iran unterstützt ein gewaltiges Raketenarsenal aufgebaut hat und im Ergebnis mittlerweile den Libanon komplett destabilisiert und verarmt hat.

Vom lokalen Konflikt zum weltweiten „Nahostkonflikt“

Der Nahostkonflikt ist also von anderer Art als man denken könnte, wenn man nur die Nachrichten schaut oder Zeitungsartikel liest, in denen die Kommentare der Politiker für bare Münze genommen werden, die gesammelt zu einer politischen Einschätzung zusammengerechnet werden. Trotz aller Lippenbekenntnisse der Politiker ist er nämlich kein Unheil für die beteiligten Konfliktparteien, welches es angesichts der Konflikte zwischen Israel und der Hamas, der Spannungen zwischen den Staaten des Westens und des Nahen Ostens etc. schnell beizulegen gilt. Vielmehr ist die die künstliche Verewigung des Konflikts nicht nur akzeptabel, sondern er ist ein Glücksfall für die politische Öffentlichkeit, er ist die Kommunikations- und Propagandaplattform von unzähligen politischen Akteuren, er ist die Bühne, auf der gezeigt werden kann, wer man sein oder wie man gesehen werden möchte. Da die Opponenten sich gegenseitig zurecht für Heuchler halten, geht dem Stück auch nie der Stoff aus. Für die einen ist der Nahostkonflikt der heroische Kampf des unterdrückten und betrogenen Volks der Palästinenser gegen die imperiale Macht des Bösen, Israel, Frontstaat der westlichen Hegemonie. Ein altes Märchen, erfunden um die Herzen derjenigen zu erwärmen, die selber ohnmächtige Untertanen irgendwelcher anderen Herrscher sind, und sich für die gute Sache engagieren, um sich zu versichern, dass sie nur deswegen unten sind, weil sie zu gut sind, oben zu sein. Die Palästinenser sind ein Volk, welches, ähnlich wie das der Libanesen und vieler anderer nach einem Landstrich benannt, erst einmal erfunden werden musste, um den Anspruch auf einen Nationalstaat zu stellen, für den sie sich viel zu spät in der Geschichte angemeldet haben, und dessen erfolgreiche Guerillataktik der moralischen Überlegenheit und des gerechten Kampfes, die Instrumentalisierung des oben genannten Märchens ist. Damit lassen sich der Terrorismus gegen die Zivilbevölkerung, der eigenen ebenso wie der anderen, rechtfertigen, und man kann ein guter Mensch bleiben und gleichzeitig Selbstmordattentate, Bombenanschläge und Raketenbeschuss auf Städte richtig finden. Mit dem Kampf der Palästinenser identifizieren sich all diejenigen Menschen, die sich selber als Underdogs sehen oder von diesen geliebt und gewählt werden wollen, auch wenn sie von Islam, Israel und Palästina gar nichts wissen, denn David war schon immer sympathischer als Goliath, auch wenn die Stammeszugehörigkeit unter anderen Vorzeichen jetzt gewechselt hat. Für die Anderen wiederum ist der Nahostkonflikt der Überlebenskampf des jüdischen Volkes in Form des israelischen Staates in einem Meer voller Feinde, zu denen sie früher selber zählten, und Garant des „Nie wieder“. Das Überleben dieses kleinen Judenstaates verschafft ihnen ein gutes Gewissen. Der Westen steht mehr oder weniger hinter Israel, jetzt wo die Juden einen Staat haben und nicht mehr in Ghettos neben ihnen leben, weil er dort Demokratie und Menschenrechte installiert sieht und damit den Luxus, den er sich als Gewinner im ökonomischen Krieg leisten kann, um seine Herrschaft zu rechtfertigen. Diese Legitimation ist mittlerweile eine Art Glaubensersatz geworden, die Lüge der Moral der Menschenrechte und der Demokratie ist das, was der Westen in sich selber sieht, trotz der Geschichte der Ausplünderung und Verwüstung der Welt durch Imperialismus und Kapitalismus, zweier Weltkriege, KZs, Atombombenabwürfe, die er ernsthaft den ganzen shithole countries (Trump) vor die Nase hält. Wer so viel ausblenden muss, um normal zu wirken, kann eigentlich nur verrückt sein. Gut daher, dass es den Nahostkonflikt gibt. Man hat die Bilder der Schmierenkomödie noch im Kopf, als der Präsidentendarsteller Clinton, Arafat und Barak zum Händeschütteln nötigte. Alle Parteien und der friedenstiftende Mittler hatten sich gegenseitig versichert, nur das Beste im Sinn zu haben, und das war entscheidend. Dass im Anschluss nicht der ewige Frieden, sondern die nächste Intifada begann, hat hinterher niemanden mehr interessiert.

Der Konflikt als Stockholm-Syndrom

Die Verdammten dieser Erde und die, die sich dafür halten und ihre Anhänger, die sich ausbreitende Dritte Welt, die ehemalige Zweite und andere despotische Regime halten zu den Palästinensern, weil sie sich selber als Unterdrückte des Westens gegenüber ihren Untertanen ausgeben und damit Einheit demonstrieren, wo es ansonsten nur tribale Konflikte und Überlebenskampf gibt. Man sieht, der Nahostkonflikt hat die Funktion der Stabilisierung von Herrschaft, denn er liefert jeder Partei das Narrativ, welches der Legitimation ihrer Macht dient, und übrigens den Underdogs viel mehr als dem Westen. Dieser kann seinen geschichtsvergessenen oder -instrumentalisierenden moralischen Überlegenheitsgestus auch in anderen Konflikten zur Schau stellen. Despotische Herrscher und Regime gibt schließlich an allen Ecken, in Venezuela, im Iran, in Russland oder beim neuen Hauptgegner China, der mit den Uiguren auch nur macht, was der Westen zur Disziplinierung der Arbeiterklasse in seinen working houses vor 200 Jahren gemacht hat, nämlich Wegsperren und Umerziehen. Am Ende gab es fleißige Arbeiter und brave Staatsbürger. Dieses „Vergessen“ der eigenen Gewaltgeschichte ist leider dem allgemeinen Gedächtnisschwund anzurechnen, Begleitumstand einer geschichtslosen Welt, also einer, die ohne geschichtsbildendes Subjekt einer solidarischen Menschheit auskommen muss. Einen Dreh weiter in dieser Logik war bereits Deutschland: Wer der größte Sünder der Weltgeschichte war, ist auch gleichzeitig der größte Büßer, und das Lernen aus der Geschichte verpflichtet geradezu, in Fragen der Moral der Kompetenteste zu sein.

Für Israel ist der Konflikt vor allem nervig, dennoch leistet er brauchbare Dienste, die über die Intrigen von Karriere-Politikern hinausgehen, denn es ist ein zutiefst gespaltenes Land, dessen Religion keine Identitätsstiftung mehr garantiert, vielmehr einen Keil zwischen Säkularen und Orthodoxen treibt. Der Gemeinschaftskitt wird vielmehr durch den langen allgemeinen Wehrdienst und den Abwehrkampf gegen den Iran und seiner Proxys hergestellt. Das Training der Armee und des Geheimdienstes durch die ständige Bedrohung hat militärische Berater aus Israel zu den gefragtesten im Söldnerbusiness gemacht und Teile israelischen Rüstungsindustrie sind Weltspitze und richtige Exportschlager. Unzweifelhaft aber würde Israel die ständige Bedrohung gegen eine Identitätskrise eintauschen, aber da mittlerweile Fakten durch die UN geschaffen sind, kann auch Israel gut mit dem ewigen Konflikt leben.  

Mehr noch aber als der Westen brauchen dessen Gegner den Nahost-Konflikt, denn er stabilisiert die Rackets der Banden und Regierungen und macht die arabische Straße willfährig. Der äußere Feind stiftet die Identität der Araber, Nordafrikaner und Perser als Muslime und hält damit den Islam am Leben, eine Religion, die mindestens ebenso marode ist, wie das Christentum und dessen Gewaltexzesse ebenso wie die Inquisition und die Glaubenskriege damals sichere Zeichen ihres Zerfalls sind. Für die muslimischen Herrscher, Königshäuser, korrupten Regimen und tribal-konfessionellen Rackets und Terrorgruppen mit Regierungsauftrag wäre das Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts mittlerweile existenzbedrohend, der nächste arabische Frühling würde sie hinwegfegen und andere produzieren. Könnte man trotzdem meinen, dass die arabische Welt der größte Verlierer des Nahostkonflikts ist, weil ihren 23 Staaten nicht noch die Gründung eines 24. geglückt ist, stellt sich dieser Verlust durch den Gewinn des Nahostkonflikts unter dem Strich als Mehrwert für die herrschende Elite heraus. Denn mit dem Nahostkonflikt haben sie ein weiteres mächtiges Instrument erhalten, die arabische Straße in die richtige Richtung zu lenken. Herrschende Klasse und der Mob sind vereint im Hass auf Israel, und zwar immer dann besonders, wenn zuvor die Armut und Verzweiflung sich in einem lichten Moment auf die Herrschenden selbst gerichtet hat, dann haben letztere das As „Nahostkonflikt“ aus dem Ärmel gezogen und das Gröbste ist meist abgewendet. Dass das nicht immer funktioniert, haben im arabischen Frühling gerade die Herrscher erlebt, die sich nicht genug auf dieses As verlassen haben, also zu wenig islamischen Eifer zeigten und zu säkular daherkamen. So hat der Nahostkonflikt eine weitaus wichtigere Funktion für die muslimische Gesellschaften als für westliche. Er rettet nämlich mit dem Islam, ein ähnlich morsches Glaubens- und Identifikationssystem wie das Christentum, vor dem Verfall durch die Identifikation der Massen mit demselben im Kampf gegen Israel. Ohne den äußeren Feind wären die Herrschaftsrackets ständig in großer Gefahr und der Westen ist als Feindbild zu abstrakt, zu weit entfernt und wirtschaftlich zu stark mit den Ölstaaten verflechtet, aber Israel ist als Feind direkt vor der Haustür. Und Al-Jazeera liefert die Bilder des Mordens an arabischen Kindern in Dauerschleife direkt ins Wohnzimmer. Khomeini hat es mit dem großen und kleinen Teufel auf den Begriff gebracht, der Große ist das abstrakte Feindbild, das Reich des Bösen, der Kleine die konkrete Angriffsfläche für Raketenbeschüsse und Terror, mit ihm kann man Freiwillige zu Märtyrern machen und die Bevölkerung wieder zu richtigen Muslimen, sozusagen als Trost für ihre vergeudeten Leben.

No thoughts on “Der Nahostkonflikt – Vom lokalen Konflikt zur internationalen Institution”

Leave your comment

In reply to Some User