Mit dem heroischen Kampf der Ukrainer für ihr Land, das kein russischer Vasall, sondern Teil der freiheitlich-demokratischen Welt sein möchte, ist dem Westen ein riesiger Propagandaerfolg gratis ins Haus geschneit, und was raten deutsche Intellektuelle den Kämpfern für die regelbasierte Welt, der freiheitlich-demokratische Grundordnung, den Völker- und Menschenrechten, der unabhängigen Justiz, der prosperierenden Wirtschaft, der Werteallianz und wie das alles heißt: Gebt auf, zu gefährlich! Wir machen einen Kompromiss mit Putin, wo ihr das alles vergessen könnt. Hauptsache, er hört auf, uns mit der Atombombe zu drohen. So ernst meinen wir das nun doch nicht mit Freiheit und Demokratie. April, April!

Keine Waffen für die Ukraine! Frieden heißt, Putin verstehen

Den Ukrainern sofort zur Hilfe zu kommen, Putin angesichts der erdrückenden Übermacht der NATO zum Rückzug zu zwingen - eine Flugverbotszone hätte gereicht -, dazu konnte sich der gesamte Westen nicht durchringen. Eine rationale Abwägung der Kosten, Mühen und Gefahren hatte ein solches Eingreifen wohl verhindert; so wichtig ist die Ukraine nun auch wieder nicht, und außerdem sind sie gar nicht in der NATO; übrigens auch dank den deutschen Regierungen seit Kohl, die ihre russischen Buddys nicht enttäuschen wollten. Den Ukrainern, die nichtsdestotrotz bereit sind, ihre Leben zu opfern und sich ihr ganzes Land durch russische Artillerie und Bomber verwüsten zulassen, für die vage Hoffnung standzuhalten, unabhängig zu bleiben und dem Klub der Verteidiger der Menschenrechte beizutreten, Waffen zu liefern, war für den Westen allerdings keine Frage. Aber eine für den Bundeskanzler, die ihn nach und nach um den Schlaf brachte, der nach außen zwar den besonnenen Volksberuhiger mimte, wo doch jede Verzögerung von Waffenlieferungen den Ukrainern unnötige Menschenleben kostete, aber hinter den Kulissen hin- und herüberlegte, schließlich wollte er ja Entscheider sein, wie auf seinen Wahlplakaten angekündigt. Hilfe ja, aber nur ein paar Helme, verscherzen wollte es man sich mit den Russen nun doch nicht. Was ist die Ukraine schon gegenüber unserem Außenhandelsüberschuss und einer stetigen Steigung des BIP, für die er ja nun mal zuständig war. Nach langem Hin und Her, enormer Kritik aus dem In- wie aus dem Ausland, hängte schließlich auch die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung ihr Fähnchen widerwillig in den Wind und stimmte relevanten Handelsblockaden gegenüber Russland und Waffenlieferungen für die Ukraine zu. Weiß also der richtige Westen unmittelbar, was zu tun ist in Zeiten der Bedrohung von Verbündeten, und das dieses Handeln auch mit Risiken und Opfern verbunden ist, die man eingehen muss, um moralisch intakt zu bleiben, muss die deutsche Regierung erst wochenlang sinnieren und hin- und her rechnen, was sie an Wohlstand und Gewinnüberschüssen aufgeben müsse, um weiterhin zum Westen gezählt werden zu können. Eine Entscheidung der Bundesregierung, ohne äußere Einflüsse, wie man sich hinsichtlich des russischen Überfalls auf die Ukraine verhält, wäre sicherlich ein interessantes Experiment gewesen, und hätte wahrscheinlich die Nähe zu den Defätisten der Bettelbriefe zu Tage gebracht, die diese natürlich spürten als sie ihre Briefe verfassten.

Den Bundeskanzler anzubetteln, den überfallenen Ukrainern Waffen zu verweigern, damit sie sich zumindest auf Augenhöhe verteidigen können, auf so etwas kommen nur deutsche Intellektuelle. Tausend Sonntagsreden von Steinmeier, Gauck und Konsorten waren anscheinend für die Katz. Der Überbietungswettbewerb der Beschwörung der Freiheit und der Demokratie in diesem Milieu war tatsächlich nur die heiße Luft von Opportunisten, für die man sie schon immer gehalten hatte, die einfach dazu gehört, wenn man nach oben will, sozusagen das Hintergrundrauschen, welche die Friedhofsruhe des neuen Deutschlands umsäuselt, die Beruhigungspille auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause. Wo diese Leute früher in jedes Poesiealbum schrieben und heute auf jeder Pinnwand oder in ihrem Twitterprofil ihren Goethe stehen haben: "Das ist der Weisheit letzter Schluß: Der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muß.“ gewinnen heute ihre intellektuelle Distinktion mit der Feststellung, dass mit dem Tod auch die Freiheit nicht zu haben sei. Das ist natürlich leicht gesagt, wenn man im sicheren Deutschland mit der Kapitulation der Ukraine - nichts anderes wäre ein Kompromiss mit Putin ohne Widerstand - beides haben kann, Freiheit und Leben, in der Ukraine das eine aber auf jeden Fall unter Putins Herrschaft fehlen werde und das andere von seiner Willkür abhänge.

Dass in den Briefen auch noch falsche Behauptungen aufgestellt werden, bspw. dass man sich mit Waffenlieferungen zu defacto Kriegspartei mache, ist einfach nur albern, denn dann wäre jedes Waffen exportierende Land Kriegspartei. Kleine Formulieren verraten schon eher, von wo der Wind der Unterzeichner weht. Die Formulierung, dass der Krieg auf den Rücken der Ukrainer ausgetragen wird, zeigt dem Kenner an, dass hier eigentlich ein Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland stattfindet, damit übernimmt man praktisch die russische Rhetorik und macht sich mit ihrer Propaganda gemein. Der nachvollziehbare Gedanke, dass die Ukrainer einfach nicht unter der Herrschaft der Russen leben möchten und dafür auch bereit sind zu kämpfen, will ihnen einfach nicht in den Kopf. Es muss jemand dahinterstecken, der sie anstiftet. Sie können, ähnlich wie Putin, nur noch in Dimensionen der Propaganda und der Intrige denken. Der Politologe Ivan Krastev hat in einem SZ-Interview dieses zynische Denken Putins geschildert: Als die Maidan-Proteste in Kiew aufkamen, hat Putin nicht gefragt, was die Protestierenden wollen, sondern, wer sie geschickt habe.

Die nächste leichte Verschiebung der Wahrheit in Putinscher Manier: Anstatt von einem Handelsembargo spricht man von einem Wirtschaftskrieg, der die Versorgung von vielen Menschen und armer Länder bedrohe. Plötzlich entdeckt man wieder die armen Länder, für dessen Armut, ganz ohne Krieg, sich vorher niemand interessierte. Dass die Aussaat in der Ukraine gerade durch Russlands Angriffskrieg gefährdet wird, lässt man unter den Tisch fallen. Interessant ist auch die Argumentation, dass gerade die Gräueltaten, die Russland begangen hat - ob sie wirklich begangen wurden, daran haben die Autoren natürlich Zweifel - doch dazu ermutigen müssen, Putin um Frieden zu bitten, als ob man genau wisse, dass diese Verbrechen auf Kriegszeiten beschränkt bleiben. Wer im Krieg vergewaltig, verstümmelt, hinrichtet und quält, unter dessen Herrschaft ist in Friedenszeiten auch nicht unbedingt ein salomonisches Urteil gegenüber einen in die Knie gezwungen Feind und ein friedliches Miteinander auf Augenhöhe zu erwarten.

Im folgenden Abschnitt wird dann der ganz große Hammer ausgepackt: die sogenannte Gewaltspirale, die bis zum Atomkrieg und dem Untergang der Welt führen könnte. Als wenn die Menschen in den letzten 80 Jahren nicht ständig unter dieser Gefahr gelebt hätten, und nun ein lokaler Konflikt, in dem der Westen nur der einen Partei Waffen liefert, jetzt das ganz große Pulverfass explodieren könnte. Selbst in richtigen Stellvertreterkriegen zwischen den Blöcken, es sei an Vietnam und Afghanistan erinnert, hat die atomare Abschreckung einen Atomkrieg zuverlässig verhindert. Die viel größere Gefahr geht davon aus, dass Verrückte an die Macht kommen und auf das Knöpfchen drücken, ganz ohne strategische Gründe. Trump und Kim Yong-Un gaben und geben darauf einen Vorgeschmack; der oberste Militär der USA hatte schon vor 50 Jahren Nixon die absolute Gewalt über das Atomwaffenarsenal verweigert.

Nächstes Argument, es illustriert die Logik des Defätismus unter Ausblendung der Realität: die Ukraine hat ohnehin keine Chance, alles Blutvergießen ist umsonst. Die Realität ist, dass der russische Angriff auf Kiew komplett gescheitert ist. Bewiesen wurde: Die Korruption des Staatsapparates, die Ausplünderung des Volksvermögens durch die Oligarchen und die Verwahrlosung der russischen Gesellschaft hat auch vor der Armee keinen Halt gemacht. Mit zum großen Teil veralteten und schlecht gewarteten Kriegsgerät und mit einer durch rücksichtlose Verfeuerung von Soldaten verunsicherten, belogenen, schlecht ausgebildeten, verarmten und verbitterten Armee sollte die Ukraine überrollt werden; als sie sich nicht sofort ergab, merkten dann auch die Propagandisten im Kreml, dass sie auf ihre eigene Propaganda hereingefallen waren, dass niemand sie in der Ukraine wollte und ihre Regierung auch nicht wie eine Hase davonlief. Diese „Spezialoperation“ wurde nämlich gerade durch die relativ leichten aber technisch hervorragende Waffen aus dem Westen und einer hochmotivierten ukrainischen Armee nicht nur gestoppt, sondern mit großen Verlusten unter den Angreifern wieder aus Kiew vertrieben. Gerade die Vorbereitung, Aufklärung und die Waffenlieferungen des Westens haben geholfen, den Sieg der Ukraine um ihre Existenz zu ermöglichen. Russland musste von nun an kleinere Brötchen backen. Jetzt ist nur noch von der Eroberung des Donbas und der Russifizierung der bereits eroberten Gebiete im Süden die Rede. So wie dabei dieser Krieg der totalen Zerstörung ganzer Landstriche durch Artillerie, Raketen und Bomben zur Zeit geführt wird - denn im Bodenkampf ist die russischen Armee mittlerweile schon den Ukrainern unterlegen -, ist nicht recht zu begreifen, was das durch das Handelsembargo zunehmend verarmte Russland zukünftig mit diesem verbrannten Landstreifen anfangen will, in dem ein Partisanenkrieg von einer mit Hass auf Russland geeinten Bevölkerung auf sie warten würde. Wer in dieser Situation fordert: „Der erste und wichtigste Schritt dazu [zum Frieden] wäre ein Stopp aller Waffenlieferungen in die Ukraine, verbunden mit einem auszuhandelnden sofortigen Waffenstillstand.“, dem geht es nicht um die Rettung von Menschenleben, sondern um die Rettung Putins.

Mit der falschen Behauptung, dass Selenskyi Putin bereits ein Angebot gemacht habe, weite Teile der Ukraine für einen Frieden zu verscherbeln, und es nur an der NATO liege, den Krieg zu beenden und der Kanzler mit der Weigerung Waffen zu liefern, diese dazu drängen könne, will man wieder durch die Hintertür zu verstehen geben, dass die NATO den Krieg angezettelt habe und nur sie Interesse habe, diesen weiterzuführen. Das ist exakt die Position der Putinschen Propaganda. Dabei wird die Hoffnung ausgedrückt, dass es schon nicht so schlimm kommen werde, wenn Putin erst über die Ukraine herrsche. Das Krokodil, das mit dem ersten Bissen seinen Hunger gestillt habe, werde danach schon nicht mehr auf die Idee kommen, weiter zu fressen, sollte der Hunger wiederkommen und schon gar nicht wagen, ein anderes Opfer am gegenüberliegenden Ufer mit hungrigen Blicken zu belästigen. Logisch ist das nicht, aber das Stockholmsyndrom ist es auch nicht. Es ist vielmehr die Mimesis an die zweite Natur, die Identifikation mit dem Aggressor, das Totstellen, was nicht schwerfällt, weil das Leben auch in den oberen Etagen der Gesellschaft nicht mehr lebt, vielmehr ist es wie eine alte Katze fett und satt geworden, die gar nicht mehr das Verlangen hat auch mal wieder die Wohnung zu verlassen und nach draußen zu kommen.

Im Weiteren wird im Brief die nächste Putinsche Propagandaformel übernommen und den Lesern zum Fraß vorgeworfen: berechtigte Sicherheitsinteressen. Übersetzt heißt das: Machtansprüche. Sie sollen Putin zugestanden werden, weil er so mächtig ist. Der Euphemismus ist nichts weiter als eine Rationalisierung der Identifikation mit dem Aggressor. Um ihn weiter zu besänftigen, sollen Kiew, Charkiw und Odessa für den nächsten Einmarsch schon einmal komplett demilitarisiert werden, so hilft man aktiv, Putins Kriegsziele zu erreichen. Dass irgendwann mal irgendwo etwas Ähnliches geholfen hat, Zivilisten zu schützen, kann ja sein, mit dem kleinen Unterschied, dass man es heute mit Putin zu tun hat.

Zum Schluss fordern die Friedens- und Konfliktforscher, die Kriegslogik durch eine mutige Friedenslogik zu ersetzen und Russland und China in eine Sicherheitsordnung einzubinden. Das klingt nach Seminar-Trashtalk, wir hauen uns Logiken um den Kopf - dabei gibt es nur eine - und lassen die Realität, die gar nicht so schwer zu verstehen ist - Russland hat die Ukraine angegriffen, nicht umgekehrt - außen vor; und dieser Krieg ist weder einer Gewaltspirale noch folgt er einer Kriegslogik, die einfach durch eine Friedenslogik ersetzt werden kann. Hier geht es für die Ukraine ums Sein oder Nichtsein, mit Russland ist nur Frieden möglich, wenn man es am Boden hat, heißt hier: es aus der Ukraine herausgedrängt wird und es sukzessive verarmt, und dazu braucht es keiner mutigen Friedenslogik, was immer das sein soll, sondern einer Unterstützung durch Waffenlieferungen und ein umfassendes Embargo.

Kurzgefasst, meint der Brief, dasselbe als wenn man der Nachbarsfrau, die mit lautem Geschrei über die Schläge und Übergriffe ihres Mannes auf ihre Notlage aufmerksam machen will, zuruft: „Jetzt gibt doch endlich nach, damit hier wieder Ruhe ist. Wie soll ich morgen mit deinem Mann wieder einen trinken gehen können, wenn du ihn hier vor allen Nachbarn als Schläger bloßstellst.“

Die Kantianer, die vom ewigen Fatalismus träumen

Im Emma-Brief der 28 schmücken sich die Verfasser und Unterzeichner mit Kantschem Vokabular. Es soll beeindrucken, die Leser erzittern lassen und will keinen Widerspruch dulden. Im schönsten Feuilleton-Geschwurbel wird sofort angefangen, von einer moralischen Pflicht zur Verteidigung zu faseln. Anscheinend will man die Leser verwirren, denn davon haben sie und auch der Bundeskanzler sicher noch nie gehört. Zurecht, entweder man verteidigt sich oder nicht, aber eine Pflicht dazu gibt es wohl kaum. Aber es gibt eine Pflicht einem Angegriffenem zu helfen, ansonsten macht man sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar, davon wollen die Autoren aber nichts wissen. Nicht aus der Pflicht zu helfen, sondern aus der Pflicht zur Verteidigung, die so sinnvoll ist, wie die Pflicht zu essen, leiten die Verfasser ab, dass diese Verteidigung Grenzen haben müsse, und zwar zwei. Hier schlägt die Logik vom ewigen Frieden Purzelbäume. Erste, natürlich kategorische, Grenze: Man unterlasse die Gegenwehr, wenn die Eskalation in einen Atomkrieg enden könne. Übersetzt: Hat der Angreifer nur einen Knüppel, wehre dich! Hat er eine Maschinenpistole und könnte auch mich treffen, höre auf dich zu wehren, ich will nicht verletzt werden. Die zweite Grenze: Irgendwann steht das Maß an Leid und Zerstörung durch die Gegenwehr in einem Missverhältnis zu dieser Gegenwehr selbst. Übersetzt: Hat der Angreifer dem Verteidiger einen Arm gebrochen, und dieser jenem ein Bein, stelle die Gegenwehr ein! Ist eine gewisse Grenze an Leid überschritten, muss dem Angreifer der Sieg zugestanden werden. Man weiß nicht so recht, was der Bundeskanzler und die Ukrainer mit diesen kategorischen Grenzratschlägen anfangen sollen, erst recht nicht, wenn die Freunde der Ukraine ihnen auch noch die Waffen wegnehmen, den Kampf von Angreifer und Verteidiger noch unfairer gestalten wollen. Die Verfasser haben anscheinend dieselbe Intuition wie ihre Brüder und Schwestern des ersterwähnten Unterzeichnervereins: der ewige Friede um jeden Preis, der Friedenswächter heiße Putin.

Nach soviel verdrehter Logik und kategorischen Grenzen, warnen die Verfasser vor Irrtümern. Ausgerechnet! Wiederum sind es zwei. Erstens, führt die Gewalteskalation zum Atomkrieg, kann nicht nur dem ursprünglichen Aggressor die Schuld an jenem gegeben werden, schließlich habe sich das Opfer ja gewehrt. Zunächst: sollte es tatsächlich einen Atomkrieg geben, weiß man doch gar nicht, wer wem die Schuld an irgendwas wie auch immer überhaupt geben soll, wahrscheinlicher ist, dass alle tot sind. Feuern allein die USA und Russland ihre ganzen Atomwaffenarsenale ab, reicht das, die Welt ungefähr einhundert Mal zu vernichten, danach gibt es nur fünfköpfige Ratten und zweimetergroße Kakerlaken. Die Schuldfrage führt hier also zu nichts, den mutierten Insekten wird’s egal sein. Die Autoren fügen an, dass besonders der Angegriffene Schuld trage, wenn er dem Aggressor ein Motiv biete. „Liebe Ukraine, wehrst du dich zu doll, bist du Schuld am Untergang der Menschheit!“ Hilft aber auch nichts, den Ukrainer wird’s egal sein, ob sie als Ukrainer oder als Teil der Menschheit sterben, für ein seniles Unterschriftenkartell werden sie ihre Waffen nicht niederlegen. Außerdem braucht es, zum ersten, für Putin keine Motive, er denkt sich einfach welche aus, zum anderen – und das haben unserer Verfasser im Auge – wäre ein solches Motiv, dem Angegriffen zu helfen. Wurde im ersten kategorischen Grenzfall noch die Pflicht zu helfen, mit einer Pflicht zur Selbstverteidigung verwechselt, die es nicht gibt, wird nun die Pflicht zum Helfen für die Autoren sogar das Motiv, welches zur Schuld am Atomtod aller führe. Kant hätte seine Freude. Der zweite Irrtum sei, dass das die Entscheidung über das Maß an Leid als Preis für den Überlebenskampf der Ukraine allein dem Präsidenten zustehe. Das ist allerdings erstaunlich! Die Verteidiger des Abendlandes und der Werteunion wollen dem Staat das Gewaltmonopol absprechen, die Entscheidung über Leben und Tod soll in Friedenszeiten nicht infrage stehen, in Kriegszeiten allerdings schon. Dazu wird die Realität hier ausgeblendet, dass die Unterstützung der Ukrainer für den Widerstand trotz aller Opfer überwältigend ist. Wer nicht kämpfen kann oder will, flüchtet oder harrt aus, alle kampffähigen Männer müssen sich allerdings dem Gewaltmonopol beugen und kämpfen, wie in jedem anderen Staat im gleichen Fall auch; umso wichtiger sind die Waffenlieferungen aus dem Westen.

Danach folgt ein Satz, der wie aus dem Himmel fällt und Rätsel aufgibt, und irgendwie wohl das vorher Geschriebene begründen soll, wie allerdings, das wäre auch Kant nicht klar: „Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“ Was soll das für eine Natur sein, wie die der Lichtgeschwindigkeit oder der Erdanziehungskraft? Vielleicht sollen sie universal gelten oder universaler Natur sein, dass sie dies von Natur aus sind, hat Kant nicht behauptet.

Im nächsten Absatz kommen auf einmal die globale Gesundheit, Klimakatastrophe und Diversität hereingeschneit, sie alle scheinen mit dem Ukrainekrieg in Zusammenhang stehen, wenn - ja wenn - eine globale Eskalation zu enormer Aufrüstung führe. Hier lösen die Sorgen um Gesundheit und Klima bereits die Sorgen um die Ukraine und einem Russland, dass sich an den Grenzen der EU breitmachen würde, ab. Auch hier hilft das Bild von der fetten Katze weiter: Sie macht sich Sorgen, dass ihr Gefängnis warm und ungesund werden könnte, dass nebenan die Häuser brennen, ist nicht ihr Bier.

Zum Abschluss wird den Lesern des offenen Briefes noch folgender Satz auf den Weg gegeben: „Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben.“ Schön und gut, aber diese Unterschiede sind welche ums Ganze, Tyrannei gegen Demokratie. Einerlei, unserer Autoren und Unterzeichner würden als geborene Opportunisten überall zurechtkommen, das Tremolo von Freiheit und Demokratie, mit denen sie ihre Mitbürger aus den unteren Schichten auf die Nerven gehen, ficht sie sogar noch weniger an, als jene. Deswegen ist es ihnen auch egal, ob Putin die Ukraine in die Hände fällt und es wäre ihnen auch egal, wenn die EU es täte. Da dass unwahrscheinlich ist, erreicht ihre Indifferenz ignorante Ausmaße, geschmückt mit der alt bekannten Friedensmoral der Pastoren und Sozialdemokraten der alten Friedensbewegung.

Hidden agenda? Not really

In den offenen Briefen an den Bundeskanzler, die sich die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wenden, kommt die richtige Erkenntnis zum Ausdruck, dass es nichts mehr auf dieser Welt gibt, für das es sich lohnen würde zu kämpfen. Der Vortrag dieser Erkenntnis kommt aber leider zum komplett falschen Ort und Zeitpunkt. Er ist vor allem deswegen so unappetitlich, weil er ausgerechnet von jenen Menschen so larmoyant ventiliert wird, die das Hohelied der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überall singen und jetzt, wo es wirklich einmal darauf ankommt, einen zukünftigen Verbündeten, der – sie können es wohl selber kaum glauben - wirklich dafür kämpft, über die Klinge springen lassen wollen und das Recht des Stärken akzeptieren, so dass auch noch der Letzte, den Glauben an die sogenannten westlichen Werte verliert. Sie sagen, „Beugt euch Putin, dann dürft ihr leben. Zwar nicht so wie wir, mit Demokratie und Freiheit, aber immerhin haben wir erstmal unsere Ruhe, ihr weckt hier sonst noch tote Geister auf.“ Die Sorge um die vielen Menschenleben, die der Freiheitskampf der Ukraine kostet und noch kosten könnte und vor der sogenannten eskalierenden Gewaltspirale, die zum Atomkrieg führen könnte, sind altbekannte und vorgeschobene Motive der alten Friedenbewegung. Die Empathie der Autoren und Unterzeichner mit dem Leid der Ukrainer kann ihnen niemand wirklich abnehmen, wenn diese impliziert, die Opfer des Angriffs zu entwaffnen und nicht den Angreifer. Die Gefahr der Weltzerstörung durch Atomraketen ist seit 80 Jahren real und ein Alltag, an den man sich gewöhnt hat, wie an so vieles Irres und Unmenschliches auf dieser Welt, den aber auch nicht der Krieg in der Ukraine wahrscheinlicher macht. Es handelt sich hierbei um Rationalisierungen eines egoistischen Motivs der Autoren und Unterzeichner im Jargon der Sorge und der Empathie.

Ging es in der Friedenbewegung der 1980er Jahre darum, die Stationierung von Atomraketen in Deutschland und die vermeintliche Angst davor, dass sich Deutschland in ein nukleares Schlachtfeld verwandelt könnte, für die Auferstehung einer neuen Volksbewegung zu instrumentalisieren. So geht es dem heutigen Unterschriftenkartell nur noch darum, dass die Ukrainer mit ihrem Willen nach Freiheit und Demokratie doch nicht so viel Lärm machen sollen, der womöglich ihr eigenes weihevolles und einschläferndes Tremolo übertönt, und es zu allem Überfluss auch noch ernst meint, schließlich nehmen sie dafür Waffen in die Hand. Das ist auch der Grund, warum sie sie ihnen wegnehmen wollen. Demokratie und Freiheit sind erfunden worden, um Herrschaft zu legitimieren, nicht um damit ernst zu machen! Besonders im neuen Deutschland sind sie zu Beschwörungsformel geworden, die als Hintergrundrauschen der eigenen politischen Friedhofsruhe dienen. Kämpfen Menschen dafür, sind sie sogar bereit dafür zu sterben und siegesgewiss, könnten manch andere Menschen doch auch auf den Gedanken kommen, dass nicht nur jenseits des Westens, das Leben ziemlich verarmt ist, die Demokratie zu einem Ritual und die Freiheit vor allem eine des Kapitals ist, welches die Welt auch ganz ohne Krieg verwüstet. Das Autoren- und Unterzeichnerkartell, eine Bande fetter alter Katzen, hätte unter diesen Vorzeichen am meisten zu verlieren, würden sie doch ihre instrumentelle Hegemonie über die Begriffe Freiheit und Demokratie verlieren, und damit ihren Berechtigungsschein für ihre Privilegien. Ihre Kassandrarufe sind nichts als Selbstschutz, denn sie vertrauen ihren eigenen Beschwörungen nicht recht und haben deswegen auch keine Angst davor, sie auf einmal, wie in den offenen Briefen an den Bundeskanzler, über Bord zu werfen, damit alles so bleibt wie es ist. Sie rufen den Ukrainern damit zu: „Ihr wollt so werden wie wir? Vergesst es, es lohnt sich nicht. Ihr wollt sogar dafür kämpfen? Ihr seid verrückt! Wir belehren euch gerne, was Freiheit und Demokratie ist, aber bitte hört auf dafür zu kämpfen! Solange ihr das tut, könnt ihr unsere Hilfe vergessen. Wir wollen Frieden, hört auf, uns zu belästigen. Uns geht es doch gut. Leben dürft ihr, aber bitte unter Putin.“ Ihre Sorge um Menschenleben und Atomapokalypse, deren Schuld, wenn sie käme, sie in die Schuhe der Ukrainer schieben wollen, ist nichts als selbstgerechte Propaganda einer fetten Katze, der es gerade deswegen so gut geht, weil sie das Stockholmsyndrom nicht nur entwickelt, sondern zur ihrer Maxime erhoben hat, und dafür belohnt wird. Die Erinnerung an die Freiheit können sie nicht ertragen, nicht mal als Illusion.

Die Wahrheit ist, die Ukraine muss sich verteidigen, sie hat das Recht sich dem Aggressor entgegenzustellen, ohne zu fragen, was die Konsequenzen eines solchen Kampfes sind. Die Konsequenzen einer Aufgabe des Kampfes hingegen sind bekannt: Armut, Fremdbestimmung und Tyrannei. Der Westen hat die Pflicht, der Ukraine zu helfen, mit leichten wie mit schweren Waffen, sonst nehmen ihn nicht nur seine Gegner nicht mehr ernst, sondern seine Bürger ebenso. Unter Putin zu leben oder dagegen zu kämpfen, macht immer noch einen Unterschied, für den es sich zu kämpfen lohnt, dieser Unterschied wird einzig und allein, vom Westen garantiert.

 

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