- Tobias Baranski
Die Ökobewegung ist zurück aus der Mottenkiste, und diesmal haben sie keine Hippies, rechte oder linke Landkommunen herausgekramt, sondern Kinder und Jugendliche der upper middle class aus den Wohlstandsländern dieser Welt, die ihre Angst vor der Zukunft pausbäckig herausposaunen, während der Großteil der Menschheit nicht einmal eine Gegenwart hat. „Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens…“ sagte Greta Thunberg, die heilige Jungfrau Maria der Klimaapokalyptiker, unter Tränen auf dem Klimagipfel in New York und fügte größenwahnsinnig an die Staatenlenker dieser Welt gerichtet an: „Wir werden euch das nicht durchgehen lassen. Die Welt wacht auf, und es wird Veränderungen geben, ob ihr es wollt oder nicht.“ (dpa) Für den zähen Durchhaltewillen, es auf dieser Welt auszuhalten (Extinction Rebellion), muss schon das Horrorszenario des Aussterbens der Menschheit als abschreckender Gegenentwurf zum Status quo bemüht werden, um zu insistieren, dass es Veränderungen geben wird, damit alles so bleibt, wie es ist. Dass es nicht so bleiben wird, wie es ist, ist durch den Aufstieg ehemaliger Kolonialländer, wie China oder Indien, aus denen Konkurrenten geworden sind, bereits beschlossen. Die moralische Anklage der besorgten Generation an die Führer der Welt bedeutet zweierlei: Einerseits sagt sie ihnen: „Macht Platz, eure Zeit ist abgelaufen, wir wollen an die Fleischtöpfe, unsere Legitimation ist die Rettung der Welt.“ Andererseits sagt sie: „Kennt euren Platz!“, sie will allen Aufsteigern der ehemaligen Dritten Welt mit der Klimaargumentation ihren Platz zuweisen. Hinter allem steckt die berechtigte Angst vor dem eigenen Abstieg, der mit der Selbstwahrnehmung nicht korrelieren will.
- Tobias Baranski
Am 21.12.2018 ist Wolfgang Pohrt gestorben. Ein Autor, der in den letzten Jahren fast vergessen war, was die wenigen oder lieblosen Nachrufe in den überregionalen Zeitungen leider hinreichend bewiesen. Es ist, als sei mit seinem Tode auch der letzte Gedanke aus der Öffentlichkeit verschwunden, dass es anders sein könnte. Denn selbst der Gedanke, der nur konstatieren kann, dass keine Revolution stattfinden wird, dass die Verhältnisse bleiben, wie sie sind – vorgeschichtlich -, dass der Bann der Gesellschaft nicht gebrochen werden kann, entsprang bei Pohrt immer der verblassten Hoffnung an ein Leben, das gelebt werden könnte und sich an Adornos Diktum, “sich von der eigenen Ohnmacht, nicht [auch noch] dumm machen zu lassen” klammert. Statt Revolutionär musste er ein homme de lettre werden, wie Marx und Co. vor ihm.
- Tobias Baranski
Seit dem die deutsche Politik das Grundrecht ausländischer Bürger, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, in einen humanistischen Gnadenakt ex cathedra verwandelte, ist das Wort “Integration” in aller Munde. Es ist so, als müsse mit einem Zauberwort der Fluch ausgetrieben werden, den der moralische Werbefeldzug der “Wiedergutwerdung der Deutschen” an Kollateralschaden der Volksgemeinschaft der reinen Herzen angerichtet hat. Das Verständnis über den ominösen Vorgang der Integration reduziert sich deshalb bestenfalls auf den Charakter von Beschwörungsformeln des Miteinanders. Schlimmstenfalls und überwiegend ist es Teil eines Weltbildes, welches die tief verwurzelte Ablehnung von den eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen des Zusammenlebens hier widerspiegelt. Die wenigen Definitionsversuche von gesellschaftlicher Integration durch Behörden, staatlich alimentierter Träger und der Öffentlichkeit sind deshalb Ausdruck sich bis zu Unkenntlichkeit verbiegender Ressentiments. Man möchte Asylsuchende sich nicht integrieren lassen, sondern will sie integrieren. Und zwar nicht in die Gesellschaft – das geht nur im Passiv – sondern in Gemeinschaft, das geht – zumal in Deutschland – nur mit Zwang und Unterwerfung. Diese illusionäre Vorstellung von Integration will die imagined community der deutschen Gemeinschaft um andere als identitär fest verstandene Gruppen bereichern. Das versteht man unter „Bunt statt Braun“. Der zum Scheitern verurteilte Versuch, Asylsuchende in eine Gefolgschaft zu verwandeln, nicht Individuen in gleichberechtigte Bürger, ist aber ein Solipsismus, indem jene lediglich instrumentalisiert werden. Und der funktioniert so: Das Ressentiment soll sich am Unterschied abarbeiten, Mob und Elite haben dadurch den Feind, den sie brauchen, um ihren Bund zu erneuern. Es wundert deshalb nicht, dass die aktuellen Asyldebatten denen der 90er Jahre fast im Wortlaut gleichen. Der Feind ist, nachdem die Oberfläche abgekratzt ist, der Fremde; Projektionsfläche aller Wünsche, und damit Hassobjekt, weil Symbol der eigenen Versagung und Ohnmacht. Mit dem äußeren Feind im Inneren ist wiederum der Kitt für die Gemeinschaft gefunden, das süchtig machende Surrogat, nachdem sich die verfolgende Unschuld sehnt. Integration – so die These – scheitert zuvörderst an den Deutschen, nicht an den Asylsuchenden, die bereits einige Opfer für ein besseres Leben gebracht haben und zur Integration nicht nur bereit sind, sondern genau deswegen hier und deswegen aus den sich desintegrierten Gegenden der Peripherie der kapitalistischen Weltgesellschaft geflohen sind und nicht verstehen können, in welches Irrenhaus es sie verschlagen hat.
- Tobias Baranski
"Ohne eine geistige Erneuerung könnte für die “letzten Menschen des Kapitalismus”, so Max Weber, wahr werden, dass sie zu “Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz [werden]: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.”[1] Warum man in Webers Schriften ein prophetisches Werturteil im Konjunktiv findet, wo er diese doch vehement ablehnte, darüber kann man nur spekulieren. Macht man das, so ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass er eine solche geistige Erneuerung sehr befürwortet hätte, war seine Prophetie doch bereits Wirklichkeit geworden. Aber eine solche Erneuerung war auch im Ansatz nicht auszumachen, vielmehr war die Barbarisierung des Geistes als Surrogat derselben zu konstatieren, die sich im heilserwartenden Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und Bellizismus bahnbrach.[2] Denn eine Erneuerung des Geistes zu erwarten, musste enttäuscht werden, ohne dass der Geist sich auch verwirklichte, dass er die Massen ergreife und das herrschende Produktionsverhältnis umwerfe, aus dessen jeweiliger Ideologie er nämlich selber stammte und das somit zugleich seine Grenzen markierte. Als deutscher Soziologieprofessor war Weber aber doppelt gegen den Materialismus geimpft, deshalb waren ihm solche revolutionäre Attitüden natürlich fremd. Ebenso der deutschen Arbeiterklasse, die sich lieber im Schützengraben zur Volkgemeinschaft zusammenschweißen ließ. Das so etwas passieren könnte, konnte der Geist (der Revolution) natürlich nicht vorhersehen, er war somit untauglich und wurde zurecht gleich zusammen mit den Leichenbergen begraben. Wie im liberalen Kapitalismus die Aufhebung der modernen Barbarei des Klassenverhältnisses, angetrieben durch seinen einzig vorstellbaren historischen Sinn für die geknechteten Menschen – der Entwicklung der Produktivkraft -, möglich schien, ist diese Möglichkeit im Spätkapitalismus der Konsumtion von Reklame und der sinnlosen Schrottproduktion der autoritären Monopole und Staaten, die die Welt verwüsten und die Menschen bevormunden und überflüssig machen, komplett aus dem Sinn geraten. Jener Geist der Negation, der als Gespenst einst Europa unsicher machte, hat sich in Luft aufgelöst und kann nur noch erinnert werden. Grund genug für ein Epitaph.
- Tobias Baranski
Wie sehr der Begriff der Freiheit auf den Hund gekommen ist, merkt man nicht erst, wenn man eine Zeitung aufschlägt. Es reicht die Meinung des Nachbars, das unvermeidliche Einprasseln der allgegenwärtige Reklame auf den Wahrnehmungsapparat, die Phrasen der Politiker. Aber man staunt nicht schlecht, wenn ein bestallter Philosoph in einer großen überregionalen Zeitung über den Begriff der Freiheit auf dem Niveau eines Schüleraufsatzes schwadroniert („Freiheit von / Freiheit zu“) und sein Wesen auf den Modus des ritualisierten Wählens in der Wahlkabine reduziert. Dabei wird man unfreiwillig Zeuge, wie weit die Unfreiheit die Verdummung bis in die Leuchttürme der Geisteswissenschaft getrieben hat. Da Verdummung gesellschaftlich produziert, nicht angeboren ist, ist sie zugleich ein Indikator, inwieweit die Vergesellschaftung total geworden ist. Die ideologische Bestimmung der Freiheit als Modus ist dabei noch nicht der Skandal an sich, daran hat man sich gewöhnt, sondern es ist der Versuch ihrer praktischen Durchsetzung, wie es der Autor empfiehlt. Und zwar in der Form eines Weltstaates, der durch die weltweite Etablierung dieses Modus‘ allgemeine Freiheit für alle Menschen garantieren solle. So fügt sich in der Heilserwartungen der ideologischen Vorstellung von Freiheit gewaltsam zusammen, was sich widerspricht: ein Monstrum von Staat mit unendlicher Machtfülle soll durch dieselbe allen Menschen die Freiheit erzwingen, die man bisher nur im Westen kannte. Als hätte es die Verbrechen von Staaten, im zuvor ungekanntem Ausmaße, nie gegeben; als wäre nicht bekannt, wozu Staaten fähig waren und in zunehmenden Maße sind. Der Autor schweigt darüber, was die Geschichte der Staaten den Menschen auch brachte: Auschwitz und Hiroshima. Einen Vorgeschmack der Umsetzung des Weltstaats kann man bereits heute schon bekommen, wenn man sich den Menschenrechtsrat der UNO ansieht – der faulen Existenz des Monsterstaates der Zukunft -, in dem der Iran, Venezuela, Saudi-Arabien und Konsorten dem Anliegen der Freiheit, im Sinne des Autors, mit großem Engagement bereits nachgehen.
- The Walking Dead – oder: Die Angstlust des Überlebenskampfes als letzter Versuch der Sinnstiftung
- Despotie der gesellschaftlichen Produktionsherrschaft, demokratische Staatsherrschaft und demokratische Identität der Gemeinschaft
- Die Kulturindustrie – der allgegenwärtige Filter der Erfahrung
- Gibt es den Skandal der kapitalistischen Gesellschaft noch?